Bismarck 01
abzulassen? Möge er mich nicht auf diesem Wege für meine Sünden strafen und die arme Johanna es mit entgelten lassen! Wie gleichgültig ist mir daneben, daß die in Frankfurt unseren König zum Oberhaupt ernannten, mit der Befugnis, den Kaisertitel zu tragen! Denn der König wird ablehnen, wie ich ihn kenne, eine Doppelkrone durch die Revolution zu erhalten. Darin irrte er nicht. Freudestrahlend fuhr Gerlach nach Schönhausen zu einer Aussprache über das wichtige Ereignis. »Majestät empfingen zwar den sogenannten Präsidenten Simson im Rittersaal mit feierlichem Gepränge, haben aber sofort abgewunken. Dieser Ruf der deutschen Nation gebe ihm ein Anrecht, daß er zu schätzen wisse, das ihm aber schwerste Opfer auferlege. Ohne Einverständnis aller gekrönten Häupter sei ihre Annahme unmöglich. Diese hätten zu prüfen, ob die ihm zugedachten Rechte dem Einzelnen wie dem Ganzen frommen. Ein glatter Refus!«
»Ha, nicht so glatt. Eine verklausulierte Ablehnung, die Möglichkeiten offen läßt. Wie sagt die Schrift? Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Was darüber ist, das ist hier wirklich vom Übel, indem es die Unklarheit erhöht.«
»Sie kritisieren ja die Weisheit des Königs recht schneidend«, versetzte Gerlach betroffen. »Mir wäre freilich auch lieber gewesen, Majestät hätte schroff seine innerste Meinung bekannt, er wolle mit dem Frankfurter Gesindel nichts zu tun haben.«
»Mir scheint, in unseren Kreisen bringt man den dort vereinten wissenschaftlichen und parlamentarischen Kapazitäten nicht die Achtung entgegen, die sie verdienen«, unterbrach Otto in einem bedächtigeren Tone, als er ihn seit Monaten anschlug. »Der Hauptmacher Dahlmann, den ich seit Göttingen kenne, ist ein Charakter, ein deutscher Patriot, der es ehrlich meint, ein echter Konstitutioneller, kein republikanischer Radikaler.«
»Solche Unterscheidungen machen Sie jetzt?« forschte Gerlachmißtrauisch. »Daß ich das bei Ihnen erlebe! Mir ist die ganze Demokratensauce nur eine einzige Höllenbrühe. Wir Konservativen, zu denen Sie doch wahrlich zählen, haben sozusagen nicht die physische Konstitution, um eine politische Konstitution zu verdauen.«
»Nun, Österreich hat sich ja auch als unteilbare, konstitutionelle Monarchie erklärt – freilich wohl, um Deutschland zu ärgern, der Nachdruck liegt auf ›unteilbar‹, es will seine Deutschen von vornherein vom deutschen Reich ausschließen.«
»Wissen Sie was? Das ganze Deutschland kann mir gestohlen werden. Wir eingefleischten Borussen fallen auf solchen Demokratenschwindel nicht herein. Und diese unerhört freche Verfassung, die man unserem König oktroyieren möchte! Der Adel als Stand wird abgeschafft! Keinen Pakt mit solchen Schuften!«
»Praktisch stehen wir hier auf gleichem Boden. Und doch weiß Majestät sehr wohl, daß die Einheit auf friedlichem Wege nur so zu erlangen wäre, wie man ihm vorschlägt. Denn daß die Fürsten selber, womöglich Österreich mit, ihm die Kaiserkrone auf dem Präsentierteller darreichen, darauf kann er warten bis zum Jüngsten Gericht. Er ist aber nicht nur Borusse, merken Sie sich das, sondern deutschnational gestimmt. Ich fasse daher den Bescheid anders auf, es ist bloß die alte Geschichte: Er will und er will nicht. Wir werden noch andere Phasen erleben. Vermutlich hat General Radowitz wieder seine Hand im Spiel.«
»Wie, was ist denn das?« horchte Gerlach hoch auf.
»Davon mal später gelegentlich. Vorerst frage ich nur, wie lange die Kammer in Brandenburg tagt. Ich habe mich aus Familienrücksichten beurlaubt.«
Leerer Wortschwall, nicht gehauen und nicht gestochen! dachte er unmutig nach, seine Frau neben sich, sein Kind auf den Knien. Nie konsequentes Handeln, geistreichelndes Spiel mit allerlei Ideen! Der König spricht fast immer von der Revolution wie von einem Fabelungeheuer der Apokalypse. Aber was er am meisten an ihr haßt, ist ihre Ungeduld, die von ihm königliche Taten fordert. Und die kann er nicht geben. Worte, Worte, Worte! sagt Hamlet. Gottlob, daß ich aus der Tretmühle heraus bin, bei Weib und Kind!
*
In dieser häuslichen Heimatsstimmung verharrte er bis zum Hochsommer, mit dem genesenen Töchterchen zu den Schwiegereltern nach Reinfeld reisend, und die Politik wie Staub von den Stiefeln streifend. Vorher hatte er aber doch sich aufgerafft, am 21. April in die große Kammerdebatte einzugreifen, in welcher der vom Nationalökonom Rodbertus gestellte Antrag auf Rechtsbestand der Frankfurter
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