Bismarck 01
während er seine Mutter nur achtete und fürchtete, zuletzt auch herbe kritisierte.
»Sie ist niemandem gut,« beichtete er seiner Vertrauten Malwine, »warum sollte ich ihr gut sein?«
»Sie ist doch unsere Mutter«, entsetzte sich die weibliche Empfindung.
»Und ich ihr Sohn. Mit mir will sie nur Ehre einlegen, deshalb soll ich so viel lernen, nicht des Lernens wegen, sondern um irgendwas Großes zu werden. Ich will aber nicht groß sein, habe gar nicht das Zeug dazu. Solche Mutterliebe ist nur Selbstsucht, für die ich nicht zu danken brauche.«
Mit solcher Gesinnung hörte er ungeduldig den Ermahnungen zu. »Ich war entsetzt über die tudesken Manieren, die du aus Göttingen mitbrachtest. C'est dégoutant. Das haben wir dir ja wieder abgeschliffen. Du ziehst dich wieder anständig an wie ein Sohn aus gutem Hause, und ich bin enchantiert, daß man von Saufen und Raufen nichts mehr vernimmt. Auch die Karten, des Teufels Bibel, scheinst du zu meiden. Aber arbeiten tust du nicht, wenigstens jetzt erst, wo es vermutlich zu spät ist. Du wirst dein Examen nicht bestehen, und dann haben wir die Bescherung. Ich begreife nicht, wie ein Sohn von mir, ein Enkel meines Vaters, ein solcher fainéant ist. Der richtige Landjunker, der bloß den Stammbaum seiner Pferde und seinen eigenen kennt!«
Das geht auf Vater! dachte Otto zornig. Sie soll uns Bismarcks in Ruhe lassen. Die Welt wird nicht anders, wenn man auf die Kirchtürme steigt und Mordio schreit.
»Otto ist aber kein Faulpelz«, trat Malwine kräftig für ihn ein. »Er liest riesig viel, und wenn er sich bei den Pandekten mopst, wer tut das denn nicht!«
»Sage mir, was er liest, und ich sage ihm, wer er ist!« fuhr jedoch die weise Dame, halb Parze, halb Minerva, fort, mit jener glatten Beherrschung der Sprache, die oft einen Mann in Erstaunen setzt. Daß sich mit der Erbweisheit des weiblichen Geschlechts, einer überlegenen Klugheit und Einsicht, die der Mann erst erwerben muß durch bittere Kämpfe, doch andererseits eine ordinäre Konventionalität mischt, errät erst der Frauenkennereines späten Alters. Auf einen Jüngling wie Otto wirkte die mütterliche Lehrhaftigkeit teils einschüchternd, teils erbitternd, da nur einem erfahrenen Mann die nötige ritterliche Ironie zu Gebote steht. »Malwine hat mir berichtet, du liest besonders Shakespeare und Goethe – exzellent! Überhaupt sage ich nichts gegen schöne Literatur. Die göttliche Poesie« – sie sagte »göttliche«, nicht »jöttliche«, und hatte einen gut Berliner Abscheu gegen Berliner Dialekt, der ihr pöbelhaft dünkte – »veredelt das Gemüt.« Derlei Gemeinplätze glitten ihr glatt von der Zunge mit einer Salbung, als habe sie soeben den Stein der Weisen verschluckt. »Allein der Mensch lebt nicht vom Geist allein.«
»Sondern von jeglichem Brot, das aus dem Mund Gottes gehet«, ergänzte Otto boshaft, und zwar mit biederernster Betonung.
»O ciel, quelle horreur! Wie oft bin ich aigriert durch deine respektlosen Ausdrücke über die heiligsten Dinge! Soll ich mehr erschrecken oder mehr zürnen über deinen völligen Unglauben? Du lästerst Bibel und Christentum, du mißachtest die Religion deiner Väter.«
»Na gestatte mal!« mischte sich der wackere Rittmeister a. D. ein. »Deiner Väter ist gut. Welche Religion meine ehrwürdigen Ahnen hatten, will ich lieber nicht untersuchen. Was aber den Vater betrifft, meine unwürdige Person, so habe ich mit Otto nie über solche Dinge gesprochen. Religion ist Privatsache, mein' ich. Meine Wenigkeit baut auf einen gütigen Gott, und wo der residierte, weiß ich nicht, ist mir auch schnuppe. Aber da er ist – das fühle ich –, so muß er äußerst barmherzig sein, sonst wäre er nicht allweise. Und was ein elender Mensch ›glaubt‹, interessiert ihn sicher so viel, wie mich die Gedanken einer Ameise.«
»Ameise! Da haben wir's! Pantheismus! Schon Schleiermacher war nicht frei davon. Und du, Otto, wie ich aus Bemerkungen Malwines entnehmen konnte, bist pur et simple Pantheist.«
»Und wenn schon!« Otto stand auf und reckte sich. »In dem Glauben kann man auch selig werden. Ameise – da kommst du mir gerade recht! Wenn die Lehre von der Wiedergeburt stimmt – mir schien sie immer vernünftig und logisch – dann möcht' ich als Ameise wiederkommen.«
»Herrgott im Himmel!« Bruder Bernhard war außer sich, Malwine lachte, Frau v. Bismarck hob die Hände gen Himmel:
»Und warum als Ameise, wenn ich fragen darf?«
»Weil sie alles das
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