Bismarck 01
schon immer geschwärmt für den göttlichen Shakespeare«, erinnerte sich der gute Damitz, der durchaus nicht das Pulver erfunden hatte. »Da gehst du wohl viel ins Theater?«
»Gott sei bei uns! Da stolzieren die Könige auf Stelzen, die Staatsmänner sind lauter feierliche Poloniusse und die Helden wie Bramarbasse. Ich will mir doch den Dichter nicht verhunzen lassen, das spiel' ich mir selber in meiner Stube vor.«
Bohlen schüttelte den Kopf. »Du wirst täglich verrückter. Sei doch nicht so schrecklich exzentrisch! (Neues Wort in den Salons, merk' dir das.) Der jöttliche Devrient –«
»Gut gebrüllt, Löwe! Theater und Konzerte sind hier der Menschheit große Gegenstände. Na adjes, ich muß nach Hause.«
»Wie befinden sich deine verehrten Eltern?« erkundigte sich Damitz. »Da drüben am Opernplatz habt ihr gewohnt, dicht neben der katholischen Kirche. Dort war es immer so nett. Und was macht Walwine?«
»Danke der Nachfrage. Eine junge Dame mit Gardemaß.Wird dir allergnädigst auf den Kopf herabblicken. Besucht uns doch beide, man wird sich freuen.« –
Berlin war damals noch nicht durch die Ära Schinkel unter dem nachfolgenden kunstsinnigen Monarchen verschönert. Nur die ehrwürdige schlichte Vornehmheit der Schlüterschen Bauten, das Brandenburger Tor, die Gebilde Rauchs belebten das eintönige und ziemlich ärmliche Stadtbild, dessen sparsame Spießbürgerlichkeit so recht zum Wesen des regierenden dritten Friedrich Wilhelm paßte. Auf der Charlottenburger Chaussee rasselten wenig Equipagen, Kremser fuhren bis Spandau, Omnibusse bis Schöneberg und Köpenik, der feine Westen endete »am Karlsbad«, weiter draußen weideten allzu ländlich Ziegen und Schafe zwischen Kohlfeldern. Auf der Wilmersdorfer Heide stand kein einziges Haus, und es hätten sich dort Räuberbanden ansiedeln können, wie auf der Schwarzen Heide ( black heath ) bei London. Charlottenburg lag weit jenseits des Berliner Weichbildes, und in Moabit sagten die Hunde ohne Maulkorb sich gute Nacht. Im weitgedehnten und von wenig Reitwegen durchzogenen Tiergarten galten Apolloplatz, Goldfischteich und Umgebung der Rousseauinsel als romantisch verschwiegene Tummelplätze für verliebte Stelldicheins. Unter den Zelten lustwandelten Paare und löffelten saure Milch. Kahnfahrten nach Pichelswerder, wo man Aal grün mit Gurkensalat servierte, und andere »Landpartien« standen hoch im Kurs als verfeinerter Lebensgenuß. Bei Kranzler aß die schöne Welt ihr Eis in eleganter Biedermeiertracht, die Uniformen konnten an Häßlichkeit nicht übertroffen werden, die Damentoiletten würden wohl auch nicht einen Schönheitspreis bei internationaler Konkurrenz errungen haben. Die Armut kam hier entschieden von der Pauvreté, schmucklose Lustschlößchen adelten sich durch echtdeutsche Namen wie Bellevue und Monbijou. Aber die Herrensitze in der Wilhelmstraße sahen würdig aus, die Feldherrnstatuen auf dem Wilhelmsplatz mit den Rasenspalieren verkörperten kräftig das altpreußische Kriegertum; das Mobiliar in den Häusern hatte eine gediegene Vornehmheit, die Umgangsformen waren gebildet, höflich, von guten Sitten, die ästhetischen Tees mit Butterbrot verzichteten auf rohe Abfütterung und lieferten dafür gratis den reinsten Zucker geistreicher Konversation. Von den großen Männern der Befreiungskriege ging ein Teil dahin, doch über Preußens Heer gossen immer noch lebende Namen eines Clausewitz, Boyen, Grolman, Müffling einen Schimmer des Ruhms, hohe wissenschaftliche Bildung lebte im Generalstab fort. Hegel, Humboldt, Schleiermacher wirkten in diesem alten Berlin, etwas von Fichtes Geist war noch zu spüren, Naturwissenschafter wie Ehrenberg und Mitscherlich begannen hier den Ausbau ihrer Forschungen. Selbst in der Militärjustiz wehte ein humaner Hauch durch das Wirken des hochverdienten Generalauditeurs Friccius, des Erstürmers des Grimmaischen Tores. So konnte kein Vernünftiger es den Berlinern verargen, daß sie von derBedeutung ihrer Stadt eine hohe Meinung hatten, wenngleich in Kunstdingen das Isarathen des eigenartigen Bayernkönigs Ludwig eifersüchtig dem Spreeathen den Rang ablief.
Von dem geistigen Leben Berlins spürte freilich Otto Bismarck nicht viel, für ihn gab es keine Salons der Humboldt und Varnhagen, so wie ihm später ähnliche Mittelpunkte zur Zeit von Stahr und Fanny Lehwaldt verschlossen blieben. Seine Geburt und Familie beschränkten ihn wesentlich auf Kreise des niederen Adels, wo zwar ein gewisses Maß
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