Bismarck 01
von ästhetischer Bildung damals noch zum guten Ton gehörte, aber sehr mit Maß. Allerdings darf man an jene vornehme Zeit, wo man wenig Geld, aber viel Geist, wenig Geschmeidigkeit, aber viel Charakter hatte, nicht die heutige Krämerelle anlegen. Der Schwager des Königs, Prinz Karl von Mecklenburg, seines politischen Zeichens starrer Reaktionär, las bei Hofe Goethes »Iphigenie« vor, das sagt alles. In den Kreisen des jungen Bismarck aber drehte sich der Lebensinhalt wesentlich um Beamten- und Militärhierarchie, gewürzt durch höfische Intrigen. Diese Kümmerlichkeit trat jedoch in seinem Elternhause nicht so grell hervor, da Vater und Mutter, beide in ihrer Art, keine Herdenmenschen waren.
– – »Wirf dich nur rasch in Wichs! 's ist nicht mehr viel Zeit bis zum Diner«, trat ihm auf der Schwelle des Korridors ein hochaufgeschossenes Mädchen entgegen. Er küßte ihr kluges energisches Gesicht. Das war seine Schwester Malwine, an der allein er mit aufrichtiger Liebe hing. Heut war der 24. Februar, der Geburtstag seiner Mutter. Noch lange mußte es dauern, bis die entlaubten Kastanienbäume ihre weißen rotpunktierten Blüten streuten, noch duftete es nicht Unter den Linden. Die frostige graue Luft drückte wohl beklemmend auf sein Gemüt, alles kam ihm so verdrossen und abgestanden vor. Ekel, schal und unersprießlich! dachte er mit der üblichen Hamlet- und Wertherstimmung jedes jugendlichen Idealisten, der sich ein wenig die Hörner ablief und schon das Wiederkäuen satt hat. Das blickt so melancholisch wie der Dänenprinz, obschon man keinen Vater zu rächen und sich nicht für den faulen Staat Dänemark zu sorgen braucht. Eben das wünschte man sich, und daß man so unbedeutend als fünftes Rad am Wagen nebenher rollt, das ist der wahre Sitz des Übels. Der Ichschmerz nennt sich Weltschmerz und findet etwas faul im Staate Dänemark, wenn man selber faul ist.
Als er seiner Mutter vor dem Diner die Hand küßte, seufzte die noch immer schöne Frau: »Das liebste Geburtstagsgeschenk wäre, wenn du nicht durchs Examen fällst, wie leider zu erwarten. Du machst uns schwere Sorgen.«
»Uns? Bleibe bei dir, Minchen!« Der joviale Papa klopfte dem Sohn auf die Schulter. »Darüber laß dir man keine grauen Haare wachsen. Du kannst die langen Beene noch lange unter Vaters Tisch strecken.«
»So verziehst du ihn immer«, schmollte Frau v. Bismarck und tadelte mit spitzem Ton: »Unsere Finanzen stehen nicht mehr so glänzend infolge deines liebenswürdigen Mangels an Sparsamkeit.«
»Na, rede man nich!« Ehe ein ehelicher Zwist am Festtage entbrannte, begann glücklicherweise schon die Gratulationscour. Lauter Beamte und Offiziere. Beim Diner dachte Otto an seine Kindheit zurück. Zu solchen Familienfesttagen holte ihn aus der Schülerpension der Jäger ab. Bismarcks gaben's nobel und steckten ihren einen Bedienten in Jägerlivree mit Federhut. Dann gab es ein Festessen mit ziemlich den gleichen Personen wie heut, sozusagen erbangesessenen Hausfreunden. Einige der alten Herren mit dem Ordensstern hatte schon jene Jakobinerversammlung von Würmern verzehrt, die Hamlet dem Polonius in Aussicht stellt. Die Überlebenden schlemmten noch heut in Kaviar, Hummer, Gänseleberpastete, Champagner, allen Leckerbissen der üppigen Bismarckschen Tafel. Die Offiziere, damals junge Leutnants und Rittmeister, meist von des alten Bismarcks früherem Regiment, den Karabiniers, waren jetzt im Laufe der zehn Jahre nur selten zu Majoren aufgerückt. Als solche würden sie wohl verschimmeln, und brachte es einer zum Obersten, so konnte er reichlich Großvater sein. Otto musterte mit mitleidig verächtlichem Lächeln diese illustre Versammlung von Nullen. Von Göttingen trug er die studentische Geringschätzung des Philisters mit, und verdienten etwa nur ehrsame Bürger diesen Titel und nicht auch hochbetitelte Staatsdiener? Am schnurrigsten kamen ihm die greisen Würdenträger vor, die ihre uralten Bonmots und Historien vorbrachten.
»Da hätten gnädigste Frau sehen sollen, wie Prinzeß Luise indigniert den charmanten Kopf tournierte und den Roturier lorgnettierte. Ihre Kgl. Hoheit hatten dabei ein Air, wie die hochselige Prinzeß Amalie, des großen Königs gnädige Schwester, höchstdero Fasson hatte une charme, une grace – tout à fait distinguée . Ich war damals junger Kavalier beim corps diplomatique – hélas, les jours de fête sont passés .«
Dieser Zug erinnert mich an meine früheste Jugend, spöttelte Otto in
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