Bismarck 01
hat, was mir fehlt: unermüdliche Arbeitsamkeit, für die Arbeiten das einzige Vergnügen und das wahre Leben ist, und unbedingte Anhänglichkeit an den Staat mit selbstverständlicher Aufopferung.«
Eine Pause trat ein. Vater Bismarck sah etwas dumm aus,die Mama aber erstaunlich klug, indem sie ihren ungeratenen Sprößling lange ansah. Ihr untrüglicher weiblicher Instinkt hatte etwas begriffen.
»So, so!« machte sie gedehnt. »Das wünschest du dir? Was der Mensch sich wünscht – suchet, so werdet ihr finden – wir wollen das Beste hoffen. Doch Pantheismus, weißt du, ist vieux jeu . In meiner Jugend war es Mode in der guten Gesellschaft. Fichte, Schelling, die Brüder Schlegel zur Zeit ihres Unglaubens – doch das alles ist altmodisch. Heut ist en vogue in den besten Kreisen ein aufgeklärtes Christentum. Und wer da nicht mitmacht, schädigt in hohem Grade seine Karriere.«
»Nu aber raus! Faß' dich man an die eigene Neese, Minchen!« prustete der alte Bismarck los, dem die weihevolle Salbaderei zu viel wurde. »Das jeht mir doch übers Bohnenlied und die sogenannte Hutschnur. Du selber jehst ja grundsätzlich nie in die Kirche.«
Frau v. Bismarck war teils die duldende Märtyrerin der Arena vor wilden Tieren, teils die erstarrende Medusa. »Sprich doch nicht von solchen Mysterien!« schmachtete sie, wobei aber ihr Auge einen gefährlich metallischen Glanz hatte. »Das geht doch leider über deine Begriffe. Sprach nicht der Heiland, es komme die Zeit, wo man nicht in Tempeln anbetet, sondern im Geist und in der Wahrheit?«
»Sehr richtig,« fiel Otto ein, »deshalb begriff ich nie, warum die Pfaffen sich auf Christus berufen. Überhaupt, was da alles in den Evangelien steht, die ich genau gelesen habe –«
»Mein Sohn, gib der Kirche, was der Kirche ist, und Gott, was Gottes ist. Die Unerleuchteten bedürfen der Kirche. So auch du. Ich bin mystische Christin. Wenn du reifer wirst und Thomas a Kempis liest, vor allem Zschokkes »Stunden der Andacht –«
»Da mußt du mir verzeihen, Mutter. Die hab' ich in deiner Abwesenheit mal von deinem Büchergestell entlehnt und scheußlich studiert. Mir ging ein Mühlrad im Kopf herum, und ich rief mit der seligen Madame Roland: O heilige Logik, wieviel Verbrechen begeht man in deinem Namen! Das ist weder Fisch noch Fleisch, weder Christentum noch Pantheismus, nichts als Verzückungen des Autors, die sich für Paulinische Briefe ausgeben. Da ist mir ehrlicher Atheismus verdaulicher.«
Da rief Frau v. Bismarck in höchstem Zorn: »Hebe dich fort von mir! Du störst die Kreise meiner Seele. Ja, daß ihr's nur wißt, ich lege Zeugnis ab: Ich glaube an Swedenborg, an die Seherin von Prevost und Herrn Doktor Justinus Kerner, an Cagliostro und Mesmer. Die Geisterwelt ist nicht verschlossen, wie Goethe so herrlich singt. Dir aber, mein unglücklicher Sohn, empfehle ich reuige Einkehr in deine sündige Seele ... und wenn du so in der Weise über Christum redest, wirst du nie Kabinettsrat werden, das prophezeie ich dir.«
Als Vater und Sohn von dannen gingen, legte ersterer bedeutungsvoll den Finger an die Stirn. »Sie haben nu mal lange Haar, die lieben Frauen. Kurzer Verstand – das will ich nicht sagen. Aber die Jeister, die sie sehen, werden sie ihr Lebtag nich los. Ich möchte man bloß, Mutter könnte so 'n bißchen geistersehen, was aus dir werden wird, mein lieber Kronensohn.« Und er umarmte seinen Liebling. Der ging gerührt von dannen und faßte gute Vorsätze, seinem guten Alten Freude zu machen, vor allem aber seiner Mutter zu imponieren. »Nu jrade nich! Durchs Examen rasseln, damit sie wieder ihre Litanei hersagt? Das wollen wir doch erst mal sehen.« – Zu allgemeinem Erstaunen bestand er sein Staatsexamen.
*
»Na, nu bist du also Kammergerichts-Auskultator!« Der alte Herr v. Bismarck zündete sich eine neue Pfeife an, als ob er das Kalumet der Indianer vor jeder Beratung rauchen wolle. Denn es fand eine Art Familienrat statt, was aus Otto werden solle. Da waren Mutter, Bruder, Schwester. Bruder Bernhard schlug mehr nach dem behäbigen biedern jovialen Papa, die begabte Schwester Malwine nach der klugen ehrgeizigen Mama. »Besondere Konnexionen haben wir nicht, viel Chancen für rasches Avancieren hast du nicht.«
»Nun, einige Beziehungen hätte ich doch!« flocht Frau v. Bismarck ein. »Mein Vater hat als Kabinettsrat unter drei Königen gedient, und ich bin am Ende doch in Hofkreisen aufgewachsen.«
»Na ja, Majestät geruhen dich
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