Bismarck 01
Enghien, und der hatte nicht mal einen weiland Kaiseronkel, auf den sich heut der Neffe, der Kleine, berufen kann. Man wird endlich doch nachgeben müssen, Frankreich ist zu stark.«
»Das wäre ein Affront für alle anständigen Dynastien. Ist ja doch nur ein Ableger der Revolution. Was ist denn sein blutiger Staatsstreich, sein grausiger Dezemberputsch? Auch nur Revolution, meineidiger Rechtsbruch, wenngleich vermittels der Armee.«
»Gewiß, aber Gewalt geht vor Recht. Ein stehendes Heer, sogar jedes Heer, man denke an Cromwells Puritaner, die ihn zum König machen wollten, ist seinem Wesen nach monarchisch. Übrigens, da sehen Königliche Hoheit, wie schwach jede Demokratie ohne Heer! Das sollte man nun endlich lernen, eingedenk der traurigen Märztage.«
»Erinnern Sie mich nicht daran!« unterbrach ihn der Prinz heftig. »Das waren irregeleitete Rebellen, aber nie möchte ich das unschuldig vergossene Blut selbst in solchem Falle auf dem Gewissenhaben, womit sich der Prinz-Präsident befleckte. Und diese Armee, die einer Republik den Fahneneid schwur, ist geradeso eidbrüchig vor der militärischen Ehre, als ob sie einem angestammten Herrscher den Eid bricht. Die Art, wie man harmlose Zivilisten, Weiber und Kinder auf den Boulevards geschlachtet hat, ist ewige Schande für die Trikolorenfahne.«
» Le brave Canrobert! « spottete Bismarck. »Von diesem Bayard mit langwallendem Lockenhaar hat Tallanay immer geschwärmt. Eh bien wie dieser Ritter ohne Furcht und Tadel den Kriegsgerichten präsidierte und Tausende ohne Recht und Urteil nach Cayenne schickte, erfüllt mich mit demütiger Freude vor Gott, daß ich ... kein Franzose bin.«
»Ich begreife nicht recht,« warf Prinz Adalbert ein, »die Franzosen nennen sich doch das Volk der Freiheit.«
Otto lachte höhnisch. »Wahrscheinlich weil niemand weniger weiß, was das ist. Napoleon kannte diese Hammelherde. Glanz wollen sie, Befriedigung ihrer unersättlichen Eitelkeit, Phrasen und Gloire, und wer ihnen das bietet, das ist ihr Mann. Der Neffe des Onkels wird sich darauf verstehen.«
»Das heißt, Sie fürchten einen europäischen Krieg?« folgerte Prinz Wilhelm mit seiner ruhigen, klaren Verstandeslogik. »Die Zeiten sind doch wohl vorüber, wo Frankreich allein allen Mächten den Fehdehandschuh hinwarf. Dazu gehört ein Genie, wie es der Korse hatte.«
»Deshalb wird der neue Gewaltherr Unfrieden zwischen den anderen säen und eine Koalition unmöglich machen. Er wird nur einen auf einmal angreifen, verlassen sich Hoheit darauf, und die andern ... werden zusehen.«
»Ich will nicht hoffen, daß Sie vermuten,« der Prinz von Preußen richtete sich hoch auf, »Preußen werde Gewehr bei Fuß solche Überfälle zulassen.«
Bismarck verbeugte sich ernst und ruhig. »Ich bin kein Prophet, unser Gott hat mich nicht bei der Vorsehung angestellt. Doch ich hoffe, Preußen wird immer einfach tun, was seine praktischen Interessen gebieten, ohne Rücksicht auf ritterliche Aufwallungen, die nie Dank ernten. Hoheit sollten bedenken, wie die deutschen Dynastien uns unsere selbstlose Beihilfe gegen die Revolution gelohnt haben.«
Der Prinz schwieg betroffen und nachdenklich, dann sagte er: »Ich verstehe Ihren Standpunkt. Aber Sie sind ganz und nur Preuße, der König und ich sind, daß ich es nur sage, Deutsche, ja deutsche Fürsten. Wenn Frankreich sich an Deutschland vergreift, an irgendeinem des Deutschen Bundes, wird Preußen sich auf keine Verlockung mit eigener Vergrößerung einlassen.«
Otto stand still und ruhig da. »Allerdings bin ich in erster Linie Preuße, und Ew. Königliche Hoheit machen vielleicht einen richtigen Unterschied. Eins kann ich nur sagen: wenn Kaiser Louis sich am eigentlichen Deutschland und an eigentlichen deutschenInteressen gütlich tun will, dann werde ich als Preuße auch ein Deutscher sein.«
Den Prinzen fiel das Wort »eigentlich« auf, und sie wollten fragen, ob dies etwas bedeuten solle, doch ihre Zeit war um, und sie verabschiedeten gnädig den Gesandten. In Bismarcks düsteren Auge stand eine unheimliche Flamme.
*
Der immer noch unversiegt plätschernde Redeschwall in der Kammer erkältete ihn noch mehr als früher. »Dieser Exerzierplatz für die Zunge, dieser Turnplatz für Spitzfindigkeiten, ist die ungesundeste Gymnastik. Zuletzt betrachtet der anständigste Mensch, sobald er Parlamentarier wird, das Rednerpult wie ein erb- und eigentümliches Toilettenstück, ohne das er sich nicht dem Publico und einem hohen Adel
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