Bismarck 01
Projekt begraben, mehr aus Widerspruchsgeist als Einsicht. Das war Otto nicht unlieb, aber die Fraktionskomiteesitzung machte ihm klar, wie riesig er diesen Leuten über den Kopf wuchs.
Höchst ungelegen kam ihm auch die Manie seines Königs, den Schweizer Kanton Neuchâtel als Augapfel seiner Krone anzuschwärmen, obschon es in der Natur der Dinge lag, daß ein so entfernter Besitz innerhalb des helvetischen Staatswesens nicht behauptet werden konnte. Nicht genug damit, verlangte Baden eine Züchtigung der Schweiz wegen ihrer trotzigen Gastfreundschaft für verfemte Achtundvierziger durch militärische Besetzung ihrer Rheinkantone. Otto riet aufs heftigste ab. »Frankreich unter seinem neuen Regiment wäre nur zu froh, einen Streit vom Zaune zu brechen. Kriegsprovokation von seiten Deutschlands wäre ihm willkommen.«
*
Bald darauf suchte er im Juli, wo er einen grimmigen Strauß mit Hessen-Darmstadt durchfocht und alle Höfe Deutschlands in Aufruhr versetzte – »nie hat ein Mensch in solchem Ton mit mir gesprochen,« jammerte der Großherzog, »seit dieser unglaubliche Bismarck erschien, hält Preußen seinen Kopf viel höher als sonst« –, den durchreisenden König der Belgier in Wiesbaden auf. Er erhielt von diesem klugen, unterrichteten Herrscher die Bestätigung seiner Befürchtung. »Seien Sie auf der Hut vor dem gekrönten Abenteurer! Der sinnt Krieg gegen irgendwen, um seine Flecken mit Glorie wegzuputzen. Von jeher hatte er Absichten aufBelgien. Der Mensch hat allerlei Broschüren geschrieben, als er sich in London als Hochstapler herumtrieb, und seines Herzens Trachten in vielem verraten. Annexion Belgiens ist eine Lieblingsmarotte seiner politischen Ausschweifung.«
»Preußen würde unbedingt die Neutralität Belgiens schützen, schon der eigenen Sicherheit unserer Rheingrenze wegen.«
»So ist's. Belgien ist die Vorhut Preußens. Überhaupt ist das Band noch nicht zerschnitten, das die Niederlande, sowohl Belgien als Holland, an das alte Deutsche Reich knüpfte. Wir gehören zum mitteleuropäischen Staatenkomplex und werden niemals nach Frankreich und England gravitieren.«
»Daran tun Ew. Majestät wohl, von uns hat man nichts zu fürchten, um so mehr von Westen her.«
Als er aber im Hochsommer nach Ostende reiste, begegnete er nirgendwo preußenfreundlicher Stimmung. Die Wallonen sprechen schlechtes Französisch, die Flämen kein Deutsch, sondern bewahren hartnäckig ihr niederdeutsches Platt, das sie für eine eigene Sprache halten. Otto wollte hier die Spinnweben der »Geschäfte« abschütteln, Hummer an bewegter See frühstücken und möglichst die Bekannten schneiden. Doch die schönen Zeiten, wo er inkognito die Welt besah, waren dahin. Zunächst hatte er das näselnde »How d'ye do« einer Lady O'Donnel und Miß O'Hara zu überstehen, die er bei Cowleys kennen lernte und die sich nach seiner Frau Gemahlin erkundigten.
»Sie ist mit den Kindern in der Schweiz.«
»Sie sind wohl hier, um den Prinzen Wilhelm zu treffen? Er kam soeben von London an. Ach, Sie sollten doch auch nach London gehen, das ist die Schule der Großen Welt, und da laufen doch alle Fäden zusammen.« Die gnädigen Lady Patronesses gaben zu verstehen, daß die two penny-conzerns des Kontinents nichts bedeuteten. Otto, der so die Ankunft seines Gönners erfuhr, eilte zum Prinzen, den er ziemlich ernst fand.
»Mir sehr lieb, Sie zu sprechen. Wissen Sie was aus Berlin? Ich auch nicht. In London scheint mir etwas vorzugehen. Die Intimität mit Frankreich gefällt mir nicht. Ich fürchte ungünstige Auspizien zum Jahreswechsel. Man kokettiert dort auch mit dem sardinischen Gesandten. Weiß Gott, was dahintersteckt. Wie stehen wir denn jetzt mit Österreich?«
»Leidlich, das heißt so schlecht wie immer. Ich habe aber den Eindruck, als wolle man uns mehr freie Hand in Deutschland lassen, weil wieder mal im Osten Wolken aufsteigen. Da hofft man uns wieder für rein österreichische Interessen anzuschirren.«
»Das fehlte noch. Nicht wahr, Sie werden Ihren Einfluß benutzen, um dem König auszureden, daß wir irgendwelche Verpflichtung haben?«
»Verlassen sich Königliche Hoheit auf mich! Was an mir ist, soll geschehen, daß Preußen in nichts verwickelt wird, was nicht ausschließlich unseren eigenen Interessen frommt.«
»Sehr schön. Aber Rußland – Sie wissen, ich habe meine Abneigung gegen dortige Zustände hintangesetzt, weil die verwandtschaftlichen Beziehungen uns doch engeren Anschluß aufnötigen. Mit
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