Bismarck 01
dem Zarewitsch verbindet mich innigste Freundschaft. Sollte es nun zu europäischem Konflikt kommen, so scheint mir unsere Stellung schwierig.«
»Das schon. Doch wir dürfen uns in nichts hineinziehen lassen, und müssen einfach unser Pulver trocken halten. Für uns schaut bei dem allen doch nichts Praktisches heraus.«
»Praktisches wohl nicht. Früher, mein lieber Bismarck, sprachen Sie auch von point d'honneur in der Politik, obschon Sie für Olmütz – doch wir wollen nicht alte Wunden aufreißen.«
»Der große Brite lehrt: um einen Strohhalm bis an die Mündung der Kanone fechten, wenn Ehre auf dem Spiel. Doch Falstaff fragt: Was ist Ehre! Ich kenne nur als nationale Ehre, was sich mit Vernunft und Staatswohlfahrt deckt. Romantische Ehrenpunkte sind in der hohen Politik ein Irrwisch, und um einen Strohhalm wird nicht fechten, wer das Schicksal seines Volkes aufs Spiel setzt.«
»Sehr wahr«, stimmte der Fürst warm bei. »Sie wollen sagen, daß auch russische Interessen nicht die unsern sind. Und die Verwandtschaft der Dynastien gilt da nichts?«
»Es scheint nicht. Denken Eure Hoheit an Graf Brandenburg in Warschau! Der erhabene Schwager des Königs ließ da wenig von solcher Rücksicht merken.«
Prinz Wilhelm zuckte leicht, seine Hand ballte sich unwillkürlich, seine Stirn furchte sich. »Gut, daß Sie mich erinnern. Wir sind d'accord . Apropos, haben Sie Karl Goltz gesehen? Der ist hier nebst Fritz Eulenburg.«
Otto unterdrückte eine Bewegung. So, so! Sind die wieder am Werke? Er wußte, daß eine einflußreiche Clique, zu der Graf v. d. Goltz, ein flotter, eleganter Gardeoffizier und später Adjutant des Prinzen, gehörte, allerlei merkwürdige Sonderbündlerei spann, mit der sie den Thronfolger zu umgarnen hoffte. »Die Schmach von Olmütz« war ihr Leitmotiv für allerlei vage Planmacherei, die nur die Anstrengungen praktischer Politik durchkreuzen wollte. Er stand persönlich mit beiden Goltz – dem Bruder Robert ließ sich ansehnliche Begabung nicht absprechen – auf gutem Fuße und ließ sich daher sein Mißbehagen nicht merken. Die Herren begrüßten sich herzlich am Strande und badeten zusammen im »Paradies«, einer entlegenen Stelle, wo die Männer im reinstem Adamskostüm sich in die Flut warfen, während sonst Herren und Damen bunt durcheinander nach französischer Sitte sich im Wasser tummelten. Ironisch schrieb er an Nanne, nur das ihm höflich innewohnende Bewußtsein tadelfreien Wuchses könne die Dreistigkeit verleihen, sich vor der ganzen Damenwelt zu »produzieren«. Mit Ekel erinnerte er sich an eine Anekdote des altenMetternich, wie die Damen der höchsten Aristokratie vom Fenster aus badende Bekannte beäugelten und eine davon ihr Lorgnon mit himmlischer Naivität zuklappte: »Ich nehme X«, einen jungen Engländer. Alles Frivole stieß ihn gründlich ab, eine reckenhafte Keuschheit beseelte ihn. Dagegen feierte er das Wiedersehen mit einer alten Geliebten, der unergründlichen See. »And I have loved thee, ocean« , zitierte er Byron vor sich hin. Dies Sinnbild der Ewigkeit umwogte ihn zugleich erhebend und beruhigend. Jeder, der viel auf See war, wird seinen Ausruf begreifen: »Ich verstehe nicht, warum man nicht immer am Strande wohnt. Alles andere ist spießbürgerlich klein. Hier hat man den Odem Gottes aus erster Hand.«
»Etwas eintönig«, lächelte Graf Goltz blasiert. Ottos Naturschwärmerei schien vielen bei einem so »praktischen« Manne nur eine Scheinmaske, affektiert. Und wirklich riß er sich ja auch bald von seiner Seegeliebten los und begab sich in die geradlinigen heißen Straßen von Brüssel, wo er beim preußischen Gesandten Brockhausen abstieg. Freilich hatte er seine Wohnung in Ostende vor dem preußischen Prinzen Georg räumen müssen, denn selbst ein jüngerer apanagierter Nebenprinz bedeutet ja viel mehr als ein Staatsmann, der sich von ernsten Mühen ausruhen will. Der höfliche, edelgeartete Prinz Georg wollte sich hier auch von der See »Inspirationen« holen, nämlich für seine Verse, er war, mit Respekt zu melden, ein Dichter. Nun, ob man anderswie ein Stümper und Dilettant ist oder dies als sogenannter Diplomat betätigt, kommt aufs gleiche hinaus. In Wahrheit trieb ihn etwas anderes nach Brüssel, abgesehen davon, daß sein Amtspflichtgefühl ihn bei Brockhausen nähere Erkundigungen über Belgien einziehen ließ. Er fand dort auch den von Wien bekannten und nicht holden Botschaftsrat Baron Werthern, und einen vortrefflichen gräflichen
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