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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Sitten.«
    »Ich wagte nicht, so unbescheiden zu sein –« stammelte der junge Mann errötend.
    »Kommen Sie nur heut mittag!« begütigte Johanna wohlwollend. »Unsere Schwester Arnim ist hier, mit der Sie sich ja bei ihrem vorigen Besuch gut standen. Sie werden uns willkommen sein.«
    »Ich werde nicht verfehlen, gnädigste Frau, Ihrer so Großes gewährenden Einladung zu folgen.«
    Otto sah ihm mit grimmigem Lächeln nach. »Ein guter Junge, obwohl kein Überflieger. So war ich auch einmal. Die Jugend ist weder dankbar noch klug, das lernt erst der Mann.« –
    Malwine war wirklich ein anmutiges Frauenbild. Sie galt für schön und ähnelte etwas der Kaiserin Eugenie, für welche Otto vielleicht deshalb eine Vorliebe nährte. (Nicht mal seine politische Schmeichelei für diese hohe Dame konnte also als unaufrichtig gelten, ebensowenig wie seine persönliche Achtung für den Empereur: so seltsam verknüpften sich bei ihm die Dinge, daß ihn nie der ärgste Feind einer wissentlichen Falschheit zeihen konnte.) Frau v. Arnim glich am meisten der verstorbenen Mutter, deren kalte Schönheit nur eigenartiger und spiritueller war. Sie galt auch für geistvoll, doch Frauen, und nun gar schöne Frauen, geraten so leicht in diesen Ruf, ähnlich wie Prinzen. Sagen sie mal ein gescheites Wort oder zeigen sie einige Bildung, flugs sind sie als Aspasien abgestempelt. Nun gibt es gewiß bedeutende, hervorragende Frauen, ausnahmsweise auch in der Salonsphäre, wie Madame de Staël oder die George Sand, dann haben sie aber gänzlich jene Reize abgestreift, die zur üblichen Frauenherrschaft verhelfen. Viel wichtiger und staunenswerter ist die Durchschnittsklugheit der Frauen, und davon hat jede ein vollgerüttelt Maß. Und da Johanna ihren Otto weit richtiger verstand als seine Schwester, die ihn doch von Jugend an kannte, so war sie, die so gar nicht »geistvolle«, sicher die klügere, obschon die Schwester später einen Nimbus um sich zu verbreiten wußte. Sie blieb im ganzen eine vergnügungssüchtige Weltdame, die von ihrem Bruder hauptsächlich begriff, daß er »Karriere machte«. Seine besondere Anhänglichkeit an sie ging wohl auch nicht über das Maß des Wohlgefallens hinaus, eine so hübsche ansehnliche Schwester zu haben und mit ihr Erinnerungen an die Kindheit aufzufrischen.
    Dies taten sie diesmal beide bei Tisch und neckten sich munter. Bei Aufheben der Mahlzeit bot er ihr den Arm, wie der junge Offizier die Frau des Hauses führte, und legte in dem langen, schmalen Korridor, zwischen Speisezimmer und Wohnräumen seinen Arm um sie zum Tanz. So galoppierten sie walzend den Flur entlang, bis sich Malwine am Türrahmen stieß. Ihr vernehmliches Au! erregte seine ritterlichste Teilnahme, und seineBemühung um sie fand der junge Offizier als Zuschauer geradeso entzückend wie ihre Grazie, die unnötige Besorgnis abzuwehren. Er grub sich dies allerliebste Bild als unvergeßlichen Augenblick ein. Nun ja, ganz hübsch, aber ein außerordentlicher Mensch hat außerordentlichere Augenblicke als solche. Die besten und klügsten Leute der »höheren« Stände können sich eben nicht den Folgen ihrer nur auf Äußerliches gerichteten Erziehung entziehen, daß sie den Kleinigkeiten des Gesellschaftslebens zu viel Wert beilegen und »Haltung« dabei für das einzige Zeichen vornehmer Bildung ansehen. Doch in jedem bedeutenden Menschen steckt ein Wildling oder Bohemien. (Auch in Louis Napoleon.) Glättet sich durch polierte Selbstzucht diese Rauheit, wo nicht Roheit (Peter der Große), wie bei dem in höfischem Milieu sich frei und sicher bewegenden Weltmann Otto Bismarck, so geschieht es auf Kosten tieferer Kräfte, wie das Abflauen des Dichteringeniums in Geheimrat v. Goethe bewies. Alles, was er dabei an Ansehen für den Bildungsphilister gewinnt, verliert Faustens unsterblich Teil.
    Daß aber trotz behaglichen Philistertums eines Familien- und Gesellschaftsmenschen in diesem geschniegelten Berserker ein Etwas lebte, was gar nicht zu seinem Milieu paßte, das drückte der boshafte Prokesch im Vertrautenkreis seiner Mitverschwörer so aus: »Ich kann mir nicht helfen, dieser preußischer Junker ist in meinen Augen ein Erzrevolutionär. Er plant Umsturz der bestehenden Ordnung.«
    Im Juli hatte er ein Wiedersehen gefeiert, das ihn in ferne Zeiten zurückrief. »Motley, dear old fellow! Is it possible!« Hätte es nicht seiner männlichen Art widerstrebt, er würde seinen amerikanischen Jugendfreund mit beiden Armen umhalst haben.

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