Bismarck 01
als der Kanzleidiener hereinstürzte: »Der Herr Gesandte lassen bitten, sich zu ihm zu verfügen wegen dringlichen Diktats.« Schweigend nahm der Jüngling den Hut vom Nagel, während der umsitzende Kreis von Attachés und Offizieren lärmend lachte.
»Dritte Wiederholung, unwiderruflich letztes Benefiz! Dies Stückchen kenn' ich auswendig. Dreimal hab' ich's schon erlebt. An der Quelle saß der Knabe, da kam die Parze mit der Spindel. Halb zog es ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr gesehn!« »Verflixter Dienst!«
»Ich tauscht' ihn mit keinem andern.« Der Abgehende knöpfte sich die Handschuhe zu. »Mein Chef ist nicht nur ein großer Herr, sondern ein großer Mann. Und wenn Sie wüßten, wie das ist, mit ihm allein zu sein und ihn anzuhören, Sie würden mich alle beneiden. Zehnmal hat er mich nun schon aus den Federn geklopft oder mir sonst die Nacht genommen, und wenn er's hundertmal tut, ich bin bereit. Gute Nacht!«
»Des Jünglings erste Liebe!« brummte der vorige Spötter. »Der ist in seinen Chef verschossen, sonderbarer Geschmack. Aber 'n famoser Kerl muß er sein, an dem seine Leute so hängen.«
»Bei unseren Soldaten ist er riesig populär. Er besucht manchmal die Kaserne und spricht mit den Mannschaften, an die er Zigarren verteilt. Uns alle, Offiziere wie Gemeine, hat er in der Tasche. Auf sein Wohl!«
Der oft an Schlaflosigkeit leidende Gigant schritt hastig im gelben Kabinett auf und ab, einen geblümten Schlafrock von grünem Seidendamast umgeschlagen. »Na, da sind Sie, lieber Sohn. Danke verbindlichst! Ließen Sie Ihre Müdigkeit auchhübsch bei den Kotillonschleifen? Jetzt müssen Sie 'ran zu Dauerwalzer mit der Feder! En avant, s'il vous plait. « Er diktierte. »Als der Reformator Knox – was stocken Sie?«
»Wie wird der Name geschrieben?« stotterte der Schüler.
»Ei, ei, sollte Ihnen das eine oder das andere Blatt in Beckers Weltgeschichte entgangen sein? Zwei Dinge muß der junge Diplomat wissen: Neuere Geschichte (die alte schenk' ich Ihnen, deshalb lernt man sie auf den Schulen, weil sie unnütz ist) und den Gothaischen Almanach und Hofkalender. Was da drin steht, Verwandtschaften usw., hat für die Politik leider große Bedeutung. Aber nu 'ran an die Gewehre!« Und er diktierte hastig mit jäh herausgestoßenen Sätzen, so daß des Schreibenden Hand kaum folgen konnte. Seine ungestüme Ungeduld bei dieser Art zu diktieren ähnelte sehr derjenigen des großen Korsen, nur daß er nicht selber unleserlich kritzelte wie dieser. Dazwischen flocht er aber zur allgemeinen Belehrung des Neophyten so beißende oder humoristische Erläuterungen ein, daß der junge Mann manchmal die Feder niederlegte. »Entschuldigen, Exzellenz, sonst gibt es Tintenflecke, ich muß so lachen.«
»Diese Erschütterung Ihrer Lachmuskeln ist hygienische Gymnastik, um Ihre müden Lebensgeister aufzukratzen. Nun fix weiter!«
Die Morgensonne schien längst herein. Johanna erschien in der Zimmertür.
»Guten Morgen! Der Kaffee kommt gleich. Ach Sie Armer!«
»Meine gnädigste Frau, Bedauern ist nicht am Platze. Ich fühle, als ob ich ein Seebad genommen hätte.«
Der Gestrenge kramte zerstreut in Papieren, Johanna fragte eilig: »Da ich deiner habhaft werde, so sage rasch, wie das neue Hemd sitzt, das du gerade trägst. Entschuldigen Sie!«
»Bah, der trägt ja auch Vatermörder und hat dieselbe Pein. Das Hemd ist bequem, aber der Kragen –« Er griff blitzschnell eine Papierschere auf und schnitt oberhalb der Krawatte hinein. »Das muß um so viel verkürzt werden!« worauf er artig lächelnd mit der Schere salutierte. Das machte Napoleon ja auch so, der jede Krawatte abriß und auf den Boden warf, wenn sie nicht Order parieren wollte. »Ja, und was ich sagen wollte –« wandte er sich plötzlich an den Schüler, »vorgestern führten Sie einen Auftrag, den ich Ihnen disponierte, nicht so genau und pünktlich aus wie wünschenswert. Das wird Ihnen wohl unangenehmer sein als mir. Zweifellos sind Sie mit mir darin einig: hat ein Kavalier etwas übernommen, ist's schon so gut wie getan.« Der Ton war leise und verbindlich, aber so eiskalt, daß es den Verdutzten überlief und er sich zuschwor, nie mehr unachtsam zu sein. »Das wäre alles für heute. Ich danke recht sehr. Übrigens, Sie wissen, Ihr Platz am Familientisch ist jeden Mittag offen, Sie machen sich etwas rar. Nun, die Jugend gibtihrem Hang zu anderen Schauplätzen nach, wo sie mehr unter sich ist, doch das veredelt nicht immer die
Weitere Kostenlose Bücher