Bismarck 01
befördern und lediglich den Eindruck schlechter Erziehung gewinnen, daß jemand sich erdreiste, die schuldige Untertänigkeit zu verletzen. Aber Otto dachte sich, daß es schön sein müsse, einem angestammten Lehnsherrn ritterlich ins Auge zu sehen und innerhalb der gemessenen gehörigen Formen ihm die Wahrheit zu sagen. Er dachte sich überhaupt mancherlei. So ergriff ihn die Szene Wallensteins mit dem schwedischen Unterhändler, die beim Publikum spurlos vorübergeht, obschon nur sie den Schlüssel zu des unheimlichen Feldherrn patriotisch großdeutschem Hochverrat liefert. Hätte Schiller, der in dieser Entdeckung des wahren Wallenstein, obschon er spätere dokumentäre Belege nicht ahnen konnte, seinen Beruf zum Historiker bekundete, nur nicht dem Geschmack der Menge als Theaterdichter huldigen müssen! Obschon ihm selber Gemütswallungen nicht fremd, empfand Otto das Breittreten derMax-Thekla Affäre als peinlich störend, indem es von der hohen Politik ablenkte. Dieser düstere Kondottiere, der ein deutsches Herz im Busen trug, hatte nicht nur aus persönlichem Ehrgeiz, sondern zu großem idealen Zweck mit Blut und Eisen das zerrissene Deutschland einigen wollen. Und das ging nur mit Winkelzügen und verdecktem Spiel. So viel sah Otto ein, obschon seinem vererbten royalistischen Gefühl der Mannentreue der Bruch des Fahneneids und Abfall vom Kaiser stark widerstrebten. Doch hinter den politischen Kulissen sieht wohl manches anders aus als von vorn, gerade wie beim Theater.
Denn als er hier hinten um die Bühne wanderte, sah er Prinzessin Eboli. Ihre ohnmächtige Zerknirschung vor der Königin hatte ihm soeben menschliches Beileid eingeflößt. Hier aber stand sie plaudernd und aß eine Schinkenstulle, wobei sie ziemlich unanständige Witze riß. Ja, ja, so wird's wohl immer im Leben gehen: Wird die Kulisse weggeschoben, so gähnt uns statt himmelstürmender Poesie eine Prosa an, matt und schal zum Übelwerden. –
»Ich halte diese Verfügung für drückend und ungerecht«, bekannte einmal der Präsident Graf Arnim offen vor seinem Referendar, der ihm über eine Regierungsmaßregel Vortrag zu halten hatte. »Ich fürchte, sie schadet unserem Prestige in diesen neuen Landesteilen.«
»Kann denn eine so hochgestellte Persönlichkeit wie Ew. Exzellenz nicht eine untertänigste Vorstellung dagegen einreichen?« erlaubte sich Otto anzudeuten.
»Wo denken Sie hin! Das wäre so viel als meine Stelle wert ist. Ich trage kein Verlangen danach, schon jetzt in den pensionierten Ruhestand zu treten. Nein, mein Lieber, wir müssen uns vielmehr mit allem Eifer dafür einsetzen.«
»Gegen unsere Überzeugung?« warf Otto halblaut hin.
»Ach, die goldene Jugend! Ein preußischer Beamter hat keine Überzeugung, das wäre gegen die Disziplin.«
»Exzellenz werden mich vielleicht komisch finden, aber ich frage: wie soll man das vor seinem Gewissen verantworten?«
»Nu sagen Se ooch noch Spickaal!« lachte der joviale Herr. »Solche altdeutschen Scherze lassen Sie sich nur vergehen! Ein kgl. preußisches Gewissen befiehlt nur eins: dem allerhöchsten Herrn zu gehorchen.« Er maß ihn neugierig. »Passen Sie so wenig in die moderne Zeit? Verfügen Sie über solche moralischen Habseligkeiten? Was Sie Gewissen nennen, ist vielleicht nur – schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort – nur jugendliche – wie soll ich sagen –.«
»Vorlautheit«, ergänzte Otto etwas gereizt. »Exzellenz gestatten mir, ein Gewissen zu borgen, wenn Sie mir selbst ein solches nicht zusprechen. Aber wie kann man ohne Gewissen das Bewußtsein haben, dem Wohl seiner Mitmenschen zu dienen? Diese Voraussetzung ist doch conditio sine qua non . Wie kannman Berufsfreude behalten, wenn man nicht wirklich Nutzen stiftet?«
»Ach du lieber Gott! Mein junger Freund, wenn ich Ihre Bedenklichkeiten für unausrottbar ansähe, dann würde ich väterlich raten: Satteln Sie um! Ich machte ohnehin Beobachtungen – Sie sind sehr befähigt, aber sehr zur Kritik geneigt. So was mochte sich einst der Freiherr v. Stein als Luxus gestatten, aber Sie sind nicht Stein, und Sie wissen, wie unsanft er deshalb mit dem allerhöchsten Herrn zusammenstieß.« Der v. Stein ein launenhafter widerspenstiger Staatsbürger sein! erinnerte sich Otto des königlichen Ausspruchs. »Schnüren Sie Ihre Philanthropie als Bündel und werfen es in die Ecke, wie den Schulsack auf dem Gymnasium, den Sie doch auch nicht mehr auf der Schulter tragen. Der Ranzen eines wohlbestellten
Weitere Kostenlose Bücher