Bismarck 01
sitzen echte Alemannen, und die Lothringer sind ein Mischvolk. In Metz, der alten Reichsstadt, mußte ein Ratmann deutschen Geblüts sein von vier Ahnen her. Und wodurch haben wir alles verloren? Durch Verrat von deutschen Fürsten gegen das Kaisertum. Lothringen hat Moritz von Sachsen, Elsaß der Sachse Bernhard ausgeliefert. Das werden wir wohl nie zurückbekommen, seit der Wiener Kongreß uns um alle Siegesfrüchte prellte und Straßburg nicht zur deutschen Bundesfestung erhob. Im übrigen hat uns Karl der Große geradeso geschädigt wie später die Ottonen, Salier und Staufen, indem er dem Phantom eines römischen Cäsarenreichs in Italien nachjagte. Solche internationalen Gebilde haben keinen Bestand, das lehrt die Geschichte, lehrt auch noch Napoleons Empire. Den Charlemagne spielen verbietet sich heut von selbst, wo die großen Völker ihre eigene seßhafte, in sich abgeschlossene Kultur pflegen. Die Rassen fügen sich zusammen schon vermöge der Sprache. Um so mehr ist der Zustand in Deutschland und Italien unnatürlich, alles drängt hin zum Nationalstaat. Aber das ist leichter gesagt als getan. Unsere schwarzrotgoldenen Einheitsschwärmer erinnern an den armen Otto III., der hier am Grabe Kaiser Karls in seiner Phantasie sich gütlich tat. Gott behüte uns vor solchen Romantikern auf dem Throne! Unser jetzt regierender Herr, Friedrich Wilhelm III., ist ja von nüchterner Art, und ich verdenke ihm nicht, daß er die dummen Jungen, die allzu grünen Jungen, der schwarzrotgoldenen Turnerei für bloße Demagogen hielt. Die heutigen sind gefährlicher, lauter verkappte Republikaner! Eine deutsche Republik, daß Gott erbarm'! Kein Land ist weniger zur Republik geeignet als das deutsche. So viel verstehe ich auch noch, so jung und unerfahren ich bin. Der monarchische Sinn lebt tief im Volke. Aber die Fürsten selber – ah, das sind ja lauter Egoisten, die kein Herz haben fürs gemeinsame Vaterland. Wie soll da je die Einigung zustande kommen! Meine Wette mit Coffin verliere ich ohnehin, das sehe ich schon voraus. Diese teutschen Allheilbrüder! Französlinge, die geistig nach Pariser Pfeife tanzen! Als ob unsere deutschen Sitten, Bräuche und Gesinnungen sich mit französischen vergleichen ließen! Dieser welsche Import heißt nur dem gesunden deutschen Mark ein Gift einimpfen, eine fremde Blutmischung, die man von selber abstoßen müßte durch natürlichen Prozeß des Organismus. Hier in Aachenist das auch eine rechte Schweinerei. Die Kollegien strotzen von Präfektur-Sekretären der weiland napoleonischen Verwaltung, und aus Altpreußen schickt man uns nicht im Staatsinteresse die Tauglichsten, sondern solche, die man gerne abschieben möchte. Worin fährt man denn hier besser als bei den Institutionen der Justiz, die mich zu Tode langweilten? Lauter Zopf und Staatsperücke, endloses Protokollgeschreibsel mit Vergeudung kostbarer Zeit. Man denkt immer an Oxenstiernas Wort: wenn die Welt wüßt, mit wie wenig Weisheit sie regiert wird! Ob's bei der hohen Diplomatie anders steht?
Nun, ich kann's nicht ändern und muß froh sein, wenn ich langsam die Treppe hinaufkrieche. Herrgott, erst 21 Jahre alt, noch so ein langes Leben vor mir. Ich muß Schluß machen mit meiner jugendlichen Überhebung und mich bescheiden. –
Romantische Illusionen verbrauchen sich selber. Das lernte Otto auch auf jener Bühne, die nicht die Welt bedeutet, wo man sich langweilt, auf der luftigen Bretterwelt des Theaters. In einer kleinen Provinzialstadt wie Aachen darf man von schauspielerischen Kräften nicht viel erwarten. Nichtsdestoweniger nahm er sich häufig eine Loge, wie denn sein Wechsel von zu Hause ihm ein standesgemäßes Auftreten erlaubte und für etwaige Schulden sein nachsichtiger Vater aufkam, der ihn verzog. Aus reiner Neugier, da ihm Flirten mit Theaterdämchen fernlag, ließ er sich mal hinter den Kulissen einführen, um das Völkchen zu beobachten, das so geheimnisvoll hinter dem Vorhang die gläubigen Zuschauer und Zuhörer anzieht. Es geschah nach Aufführung des »Carlos«, für welches Stück Otto sehr eingenommen wegen der darin breitgesponnenen Haupt- und Staatsaktionen. Er mußte zwar lächeln über die unmöglichen Formen, in denen Marquis Posa mit dem schrecklichen König Philipp verkehrt, vor dem die höchsten Granden während jeder Audienz niederknien mußten wie vor einem orientalischen Sultan. Auch heute dürfte ein Monarch wohl jeden Posa, der ihm Anzüglichkeiten ins Gesicht wirft, an die freie Luft
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