Bismarck 01
wer keinen Wein trinken kann, den betrachte ich als Franzosen. Mißtraut dem Weichling, dem jedes Glas zu Kopfe steigt! Wir Deutschen sitzen leider nicht mehr auf beiden Ufern des Rheins, aber wenigstens trinken wir immer noch eins. Dieser Frauenliebling hier wird sich schon durchpoussieren, glatt wie 'n Aal, und Trente et Quarante spielen, nämlich mit den Weibern im gefährlichen Alter von Dreißig bis Vierzig. Ich seh' ihn schon als Schoßkind hoher Patronessen. Der wird Gesandter werden, am besten in Paris, wenn ich dummer Bärenhäuter noch an den Hungerpfoten subalterner Posten kaue oder schon längst hinausgeworfen bin.
Also sann Otto, indem er Harry nach Hause brachte, der ihm ewige Freundschaft schwor, wobei eine Träne in seinen schönen Augen blinkte. Als er die kostbare Ware abgeliefert, machte der Regierungsreferendarius einen langen Spaziergang, wobei er mit seinem Stock wiederholt Fechterstreiche in die Luft führte. Wenn diese selbstgefälligen Affen wüßten, wie ich von dem ganzen Zimt denke! Ja, in einem Verfassungsstaat wie in den angelsächsischen Ländern kann jeder freie Mann sich dem Gemeinwohl widmen und für das politische System kämpfen, das er für zweckmäßig erachtet. Für sein Verhalten ist er nur sich selbst verantwortlich, unabhängig wie im Privatleben. Da mag man Erfolg haben oder nicht, das Streben bleibt immer anerkennenswert. Solche Volksmänner wie Peel, O'Connor, Canning, Fox lass' ich mir gefallen und selbst Mirabeau – auf Revolutionen käme es mir nicht an, solange sie sich in gesitteten Bahnen bewegen.Da wär' ich gern Mitspieler und würde vom Licht neuer politischer Wahrheiten angezogen wie jede andere Mücke. Aber die Zeit für große Erschütterungen ist dahin, Europa will lange ausruhen von Napoleon und Robespierre. Soll ich also die Überlegung ausschließen, daß ich besser anderswo am Platze wäre? Muß man nicht ein großes Vermögen haben, wenn man im Staatsdienst vorwärtskommen will? Sonst kann man nicht anständig in der Gesellschaft auftreten, kann auch nicht die Bürde niederlegen, sobald sie keine Freude mehr macht und mit eigenem Pflichtgefühl in dienstlichen Konflikt gerät.
Solcher Konflikt würde bei mir nicht ausbleiben, da mein politisches Glaubensbekenntnis sich durchaus nicht mit dem gouvernementalen deckt. Soll ich etwa einem System regieren helfen, das ich verdamme, zu einer Fahne schwören, der zu widerstreben mir die vornehmste Pflicht jedes Patrioten scheint? Die Unnatur unserer äußeren Richtung, im Schlepptau von Rußland und Österreich, ist mir zuwider. Und da ich mich leider darin kenne, daß ich lieber mehr ausgebe als einnehme, was käme dann eigentlich für mich heraus? Im allergünstigsten Falle, der sich kaum annehmen läßt, würd' ich nach dem 40. Lebensjahr etwa Präsident und könnte mir einen Hausstand gründen. Dann werde ich eine Krankenschwester als Gemahlin engagieren, denn mittlerweile wär' ich vom ewigen Sitzen brustkrank geworden oder hätte Hämorrhoiden oder sonst eine liebliche Zugabe, eingetrocknet von Aktenstaub. Ja, dann hätt' ich was! Den Herrn Präsidenten mag es kitzeln, daß er dem Lande mehr kostet als er ihm je nützen konnte, aber es mag ihm auch wohl der Stachel im Herzen haften, daß er oft nachteilig auf seine Landsleute einwirkt. Das hält er dann für seine Schuldigkeit, weil er unbedachtsam genug die Regierungsmaschine zu seinem Moloch machte. Dafür soll ich Jugend und Lebenskraft hergeben? Ach, es gibt Tausende, die mit Begeisterung den Posten besetzen würden, den ich leer ließ.
Wozu denn zwei Beamte in einer Familie! Mein Bruder Bernhard findet Geschmack an dem Hokuspokus, wird nie freiwillig aus dem Amte scheiden und sehnt sich in seines Herzens Kämmerlein nach dem Präsidententitel als Ende seiner ersprießlichen Laufbahn. Damit ist der Familienehre Genüge geschehen. Nun, ich will mir's überlegen. Laß sehn, was die nächsten Jahre bringen! Vielleicht seh ich zu schwarz als Jugendgreis und Hypochonder. Will's mal nachher mit Potsdam versuchen. – –
Trotz seiner deutschnationalen Bärbeißigkeit schloß sich Referendar Bismarck besonders gern Engländern an, von denen der Kurort wimmelte, zu deren Sitten er sich hingezogen fühlte. Er sprach so gut Englisch und bewegte sich in so englischer Haltung, daß die Kurgäste auf der Promenade ihn für einen Mylord anglais hielten und dementsprechend mit scheuer Ehrfurcht behandelten. Die Aachener Hautevolee fiel aus den Wolken, als man ihn
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