Bismarck 01
erheben.«
»Ich habe immer gesagt, mon cher ami , in Ihnen steckt ein wahrhaft nobler Kern«, stieß Harry begeistert an. »Es ist so süß, beneidet zu werden. Und dann die Glorie um die ganze werte Familie, besonders die weibliche. Die Damen überhaupt ... wie lieben die einen einflußreichen Mann! Dies Thema ist unerschöpflich.« Er klemmte sein Monokel ins Auge und lächeltegnädig einige Schönheiten an, die an dem Garten der Weinschenke vorbei promenierten und ihm verstohlen schmachtende Blicke zuwarfen. Er war wirklich schön und gewandt im Umgang mit Frauen, ein gefährlicher Ladieskiller.
»Das müssen Sie freilich wissen, ich habe darin keine Erfahrung«, beichtete Otto elegisch. »Wo Sie den Hof machen, da wächst kein Gras. Was ein Häkchen werden will, krümmt sich frühe schon. In Neustettin auf dem Gymnasium hatten Sie Ihr Debüt, das weiß ich noch, die holden Grazien einer wandernden Komödiantenschmiere weihten Sie in die Mysterien der Cythere ein. Orchester war nicht, aber dafür war Graf Harry da, der am Klavier seine Virtuosität zeigte. Übrigens, ohne zu schmeicheln, Sie spielen brillant ... wie wär's, wenn Sie mich, Ihren alten Jugendfreund, mit Ihrer Kunst erfreuten?« Er wies auf ein altes Klavier in der Gaststube.
»Was tut man nicht für seine Freunde!« Der schöne Harry schlug die Tasten an. »Ein oller Rappelkasten, schlecht gestimmt. C'est dommage, mais il faut vivre , in der Not frißt der Teufel Fliegen.« Und er spielte hinreißend Mozart ohne Noten. Das brachte ihn in so erhabene Stimmung, daß er Otto umarmte: »Wir beide werden im Leben zusammenhalten. Nur keine dummen Skrupel, das verdirbt den Teint und die Karriere. Immer feste uf die Weste! Oder um mich minder bukolisch auszudrücken, allons, enfants de la patrie ! Parbleu , da ist mir ein gefährliches Zitat entschlüpft. Uns belauscht doch niemand?« Er sah ängstlich umher. »Und Sie, mon très cher werden mich genügend kennen, daß ich nur sozusagen ästhetisch die Marseillaise in den Mund nahm.«
»Das soll Ihnen bei mir nichts schaden, lieber Harry. Gewiß kenne ich Sie genügend.« Er goß ihm das fünfte Glas voll. »Weiß der Henker, seit Göttingen kann ich nicht mehr viel vertragen. Doch dieser Stoff ist süffig. Ihr Spezielles! Ja, die Karriere –.« Er sah tiefsinnig in den Römer.
»Wissen Sie was, vieux garçon ?« beichtete Harry mit lallender Zunge. »In jedem Vordermann sehe ich einen persönlichen Feind. Nur,« er kniff die schönen Augen zusammen, »darf er's natürlich nicht merken.«
Otto lachte aus vollem Halse. »Köstlicher Witz! Wir verstehen uns. Ja, wenn ich so eine Flasche Wein getrunken habe, bin ich ganz geblendet von der tröstlichen Aussicht, vielleicht mal Gesandter oder Minister zu werden. Ein Ziel, aufs innigste zu wünschen! Dann kommt freilich die Nüchternheit, und dann sag' ich mir, das sei Eitelkeit der Eitelkeiten. Was ist da eigentlich für ein Unterschied vom Bankier, der auf seinen Geldschrank protzt, oder vom Dandy, der seinen zierlichen Rock und seine gutgeknotete Halsbinde bewundert – die Ihren, Harry, sind allerdings tadellos. Wer unbefangen die Dinge mißt, sucht doch nicht seinen Wert in der immer zweifelhaften Schätzung der Außenwelt.Wer seine Vernunft beisammen hat, gibt nichts auf das Gerede der Mit- und Nachwelt. Man lebt für sich selbst, und wenn man etwas für recht erkennt und es dann verleugnet, dann sündigt man wider sich selbst.«
»Falsch!« schrie Graf Harry, dem der Wein längst zu Kopfe stieg. »Die Ambition ist eine Leidenschaft wie jede andere, und der Mensch lebt seinen Leidenschaften. Darin besteht der ganze Lebensprozeß.«
»Wenn es aber eine schlechte Leidenschaft ist!«
»So was gibt's nicht. Jede befriedigte Leidenschaft gewährt Sättigung, ist also gut. Wenn ich ein Weib besitze –« Sein Kopf sank vornüber.
»Dann wirst du ihrer überdrüssig«, ergänzte Otto kaltblütig. »Und wenn ich meine ganze Unabhängigkeit der törichtesten Leidenschaft opfere, nämlich dem Erfolg durch Examen, Konnexionen, Aktenstudium, Anciennität und Liebedienerei vor den Vorgesetzten, so reizt mich das so wenig wie dich, o Bruderherz, ein ehrliches Glas Wein.« Harry hörte schon lange nichts mehr. Otto goß den Rest der Flasche auf einen Zug hinunter. Und nun bring' ich das saubere Früchtchen zu seiner Schlafmama. Den hab' ich weg, Streber in Reinkultur. Ein echter deutscher Mann kann keinen Franzmann leiden, doch seine Weine trinkt er gern, und
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