Bismarck 01
erweichen, am Piano mit süßer Stimme falsch zu singen. Man wurde gefährlich sentimental bei britischen Volksliedern.
»O'r the blue mountain, over the white seafoam
Come thou, beloved one, to thy lonely home!«
klang die schwermütige Weise, und Otto malte sich aus, wie erso gern über Berg und Meer zu einer so blonden Dame seines Herzens in das einsame Heim einer altenglischen Burg im Tudorstil einziehen möchte, in die Kemenate ihres jungfräulichen Herzens. Doch er fiel aus allen Himmeln, als Miß Russel gnädig bemerkte: »Wie schade, daß Sie kein Brite sind! Es muß doch peinlich sein, nicht einer großen Nation anzugehören!« Er bekam einen roten Kopf. »Erlauben Sie, der Zahl nach dürfte die deutsche Nation wohl die größte sein, die russische ausgenommen.« »O Himmel ja, auch die chinesische ausgenommen!« flötete sie herablassend. »Das mein' ich natürlich nicht. Aber wir Engländer und die Franzosen waren doch immer die ersten in der Welt.« »Immer? Ich bitt' um Verzeihung.« »Oh!« Sie rümpfte die Nase und brach spitz ab: »Ein deutscher Baron wird uns wohl nicht über englische Geschichte belehren. Komm herein, Isabella, die Terrasse wird kühl, und wir wollen den Herrn nicht länger aufhalten.« Miß Loraine sagte nichts und warf ihm flüchtig einen zarten Blick zu. Doch der Flirt ging zu Ende, und sie nahm das wohltuende Bewußtsein mit, im Herzen dieses armen stattlichen Foreigners eine unauslöschliche Flamme entzündet zu haben. Bei Tische ließ sie mal ihre Serviette absichtlich fallen und verlangte sein Taschentuch, und als er es verblüfft der Gebieterin reichen wollte, drückte sie ihm hastig die Hand durchs Taschentuch, in das sie hineingriff unter dem Vorwand, sich die Finger abzuwischen. Als die Damen abreisten, gütig und herablassend beim Abschied, begriff er, was ein englischer oder amerikanischer Flirt »ohne weiteren Zweck« bedeutet und nun gar einem untergeordneten Ausländer gegenüber. Also wir Deutschen sind Menschen zweiter Klasse, während jedes englische Männchen und Weibchen von uns mit Ehrfurcht umworben wird! Um seine Herzenswunde zu verbeißen, becherte und würfelte er mit Offizieren im Kursaal auf Leben und Tod bis zum Morgengrauen. Aber da war er geheilt, sein patriotischer Ärger erstickte die grüne Jugendeselei.
*
Referendar Bismarck saß am Schloß von Heidelberg und leerte seinen Schoppen edeln Rüdesheimer mit jenem Verständnis für süffigen Rebensaft, der ihm von jeher eigen blieb. Die Linden dufteten, doch ihm war nicht minneselig und lenzduselig zu Sinn, sondern er schnitt ein grimmiges Gesicht und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich will dir was sagen,« wandte er sich an einen ehemaligen Kommilitonen, den er als bemoostes Haupt in Alt-Heidelberg wiederfand, »vor der alten Schloßruine sollte jeder Deutsche einen Kniefall tun und die Rechte zum Schwur erheben. Diese Mordbrennerhorde von Franzosen! Nicht vestigia leonis , sondern Tigerkrallen! In Speier hat man die nämlichen Reliquien an die Franzosenzeit. Das muß alles heimgezahlt werden mit Gottes Hilfe.«
»Ach nee!« gähnte der andere gleichmütig. »Der liebe Gott tut was er will, und deine Hilfe wird er wohl auch nicht brauchen.«
»Das hab' ich nicht gesagt, wir kleinen Leute können nur hoffen, daß mal ein Großer kommt. All das Unrecht ist noch ungesühnt, das dieser Erbfeind uns antat jahrhundertelang.«
»Und wer war schuld daran als wir selber? Du hast ja historische Kollegien besucht, ich nicht, aber so viel weiß ich doch, daß die Bayern immer zu den Französischen hielten, und gar erst die Rheinbündler nachher unter Napolium.«
»Das ist ja eben die deutsche Affenschande. Aber das ist gottlob vorüber. Jetzt stehen die Deutschen besser zueinander. 1836 ist nicht 1806.«
»Wer's glaubt! Im Süden schwärmt man immer noch für die Franzosen. Und das ist doch wirklich eine große Nation, uns weit voraus.«
»Was?« fuhr der Märker auf. »So 'n bißchen Französ'sch is doch jar zu scheen! Ich sage dir, ich lass' mir nichts vorreden. Wir, wir sind erst recht ein großes Volk und den windigen Welschen weit voran, wenn wir's nur verständen. Paß auf, wir erleben's noch, daß Deutschland in die Höhe kommt. Glaubt' ich das nicht, so möcht' ich lieber gleich zum Teufel fahren!«
»Fahr' ab! Es steigt der Kantus: Als der Sandwirt von Passeier Innsbruck hat mit Sturm genommen. Prosit, Andre Hofer!« Und der deutsche Michel sang mit schmetternder Stimme: »Ließ er
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