Bismarck 01
Bismarck-Bohlen auf Karlsburg und ihre Tochter Linchen, jetzt Frau v. Malortie, setzten dem Kusin Otto persönlich mit Vermahnungsepisteln zu. Dieser antwortete der »gnädigen Kusine« mit einem langen Schreiben, dessen hohe Männlichkeit den Frauen ans Herz griff und das eine Reife des Urteils, eine Klarheit der Weltbeobachtung und eine Beherrschung der sprachlichen Ausdrucksweise vereinte, weit über seine Jahre hinaus, bei einem Jüngling mehr als erstaunlich. »Das traurigste ist«, bemerkte die Gräfin zu ihrer Tochter, »daß ich danach mehr denn je von Ottos Talenten überzeugt bin. Hat Wilhelmine denn gar keinen Einfluß auf ihn? Sie ist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Doch sie sagt, mit Otto werde sie nicht fertig.«
Frau v. Bismarck verfocht umsonst ihren abweichenden Standpunkt gegen den Sohn, dem sein Vater treulich sekundierte. »Du wirst doch nicht im Ernste behaupten, daß du notwendig Bauer oder sagen wir höflich Landbebauer werden mußt. Hast du nicht Pflichten gegen dein Vaterland?«
»Die erfülle ich geradeso, wenn ich Korn baue, ohne das der gelehrteste Staatsbürger verhungern müßte. Das Vaterland hat meines Wissens noch nie den Wunsch geäußert, daß ich Administrativbeamter sein soll. Es weiß von meiner Existenz überhaupt nichts und hilft sich schon, wenn ich heut noch krepiere. Das Wohlergehen der guten Preußen ändert sich nicht nagelsgroß, ob ich oder ein anderer irgendwo der Regierungsmaschinerie angehöre.«
»Als ob du dann nicht für deine Mitbürger ganz anders wirken könntest, als du je als Privatier es vermagst! Deine Fähigkeiten –«
»Und wenn ich noch so unbescheiden darüber dächte, und wenn ich wirklich so edel wäre, fremde Interessen meinen eigenen voranzustellen, so leugne ich, daß ein einzelner Beamter irgendwelche Bedeutung hat. Man schiebt da nur nach unten, wie man von oben geschoben wird.«
»Dann sorge dafür, daß du selbst an eine obere Stelle trittst!«
»Welche? Premierminister? Darüber wird man eisgrau, man kommt dazu als Mummelgreis, wenn die Zähne ausfallen. In der Jugend hat man nichts zu beißen und im Alter keine Zähne. Und was wäre das Großes? Selbst wer im Orchester die erste Violine spielt, tut doch nur, was der Kapellmeister ihm vorschreibt. Er spielt die Noten vom Blatt wie die andern Spieler auch, und ob er das ganze Musikstück für schlecht oder gut hält, darf ihn nich kümmern, bei Verlust seiner Gage. Bei uns regiert der König allein, niemand darf ihm dreinreden und raten. Nun, ich bin solch ein drolliger Kauz, daß ich selber Musik machen möchte, gute Musik nach meinem Geschmack oder gar keine. Dawill ich lieber stille sitzen und schweigen.« Der alte Bismarck grunzte förmlich vor Vergnügen und stieß ein vernehmliches Bravo aus.
»Du sprichst wie ein heimlicher Demokrat, der du ja leider bist, wie ich schon lange argwöhne. Und wenn du nur an dein eigenes Behagen denkst, hast du denn gar keine noble Ambition? Als Minister hat man doch immerhin eine gebietende Stellung, ein hohes Ansehen.«
»Ich höre immer Minister, als ob jeder, der in der Lotterie setzt, das große Los im Sack hätte. Aber diese Höhe reizt mich gar nicht, ich halte für ersprießlicher, Schafe zu züchten als am grünen Tisch Verfügungen zu Papier zu bringen, die oft die Tinte nicht wert sind.«
»Das ist deine beschränkte demagogische Auffassung.« Die gnädig Frau v. Bismarck, geborene Mencken, rauschte zornig in ihrem Seidenkleide. Dies traf sie, die Tochter des Kabinettsrats, am wundesten Punkte.
Otto zuckte gleichmütig die Achseln. »Indessen, es ist so. Kurz und gut, ich bin so geartet, daß mir vor allem am Herzen liegt, nicht zu gehorchen. Das Befehlen überlasse ich anderen, wenn sie nur mir nichts zu befehlen haben.«
»Das soll wohl heißen, Söhnchen: lieber der Erste in einem Dorfe, als der Zweite in Rom?« lachte der Alte.
»Nee, ich bin nicht Cäsar, habe gar keinen Bedarf für so was. Der Erste sein, wäre mir überhaupt schnuppe, ich will bloß für mich der Eine sein, der allein für sich selber lebt.«
» Ni dieu ni maître! Also der ausgesprochenste Egoist?« Die Mutter sah ihn mit ihren kalten Augen prüfend an, die einen stählernen Glanz hatten. Das Ewigweibliche sah wieder einmal tiefer, intuitiv, aber sah nicht alles, das Ewigmännliche, das an einer bestimmten Gemütsstelle dem weiblichen Verständnis entschlüpft, nach dem Refrain: was schert mich Weib, was schert mich Kind, ich trage weit besseres
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