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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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in unserer kleineren Gentry. Dafür ist eine Loraine zu hochgeboren.« Auch der Onkel runzelte die Stirn: »Der junge Mann hat nette Manieren wie ein Sohn aus gutem Hause, das ist eigentlich alles, was für ihn spricht. Ist man faul und disziplinlos, bringt man's zu nichts mit den schönsten Talenten. Er ist ja kein ›Tartar‹, kein ›Detrimental‹, der Versorgung inreicher Ehe sucht, doch für deutsche Bettler ist Isabels Mitgift ein fetter Bissen. Er ist ja ehrlich verschossen, doch der Gedanke, eine Britin mit Geld zu heiraten, mag ihn doch auch bestimmen. Kurz, ich werde im Auge behalten, daß ich meine Einwilligung als Vormund möglichenfalls zurückziehe. Isabel darf keine Dummheiten machen.«
    Von solcher britischen Weltweisheit ahnte der deutsche Idealist nichts, harmlos erzählte er, wie die Berliner ihn für verrückt hielten, die Bauern aber mitleidig den Stab brechen: »Use arme junger Herr, watt mak em wull sin!« Weil er nämlich im rotangestrichenen Bibliothekzimmer nächtlicherweise alle Folianten verschlang, zum Entsetzen der greisen Wirtschafterin Bellin. Seine Verlobte hörte aufmerksam zu und sagte kein Wort. Er kam dann auf Korrespondieren zu sprechen, wenn man sich in Mailand trenne. »Ich habe die leidige Gewohnheit, wie ein Affe immer viel von mir zu reden, du tust, hoff' ich, das Gleiche, das sind die einzigen Themata, die mich interessieren.«
    »Ich liebe Briefschreiben nicht sehr«, versetzte die Schöne trocken. Er phantasierte weiter, wie er in die Arme seiner Eltern, die er zwei Jahre nicht sah, und seines alten »Gieseke« zurückeilen wolle. Einsames Gutsbesitzern halte er nicht aus, doch verknöcherter Formelkram des Staatslebens mache ihn seekrank. »Ach, das Leben wirft so krause Wellen, man treibt willenlos dahin ohne Steuer als die Erregung des Augenblicks. Wo die Flut uns ans Land wirft, ist gleichgültig.«
    »Nicht doch, Sir, Sie irren«, rügte der Brite ernst. »Gleichgültig ist nur, was aus jungen Menschen wird, die sich so ziellos treiben lassen«. Nachher nahm er Miß Russel beiseite: »Ein ganz zerfahrener Mensch!« Otto aber, als sie später per Post über den Gotthard fuhren und frische Freiheit des Hochgebirges einatmeten, verbreitete sich noch ungezwungener über seine Unabhängigkeit, die keinen Zwang dulde, über angeborenen Widerspruchsgeist wider alles Bureaukratische, über Staatsposten, die jede Selbständigkeit ausschließen, über den Haß, den er gegen jede Beschränkung persönlichen Sichauslebens einsog. Er merkte nicht, wie die Gesichter länger und länger wurden, wie höfliche Einsilbigkeit seine zutrauliche Offenheit belohnte.
    »Er sagt, Berlin sei infam teuer,« vertraute Isabel ihre Schmerzen der Tante an, »und seine Eltern unduldsam bei pekuniären Unannehmlichkeiten. Wovon sollen wir denn leben, wenn er sich mit jedermann überwirft? Auf dem Lande zu versauern, fällt mir nicht ein.« –
    Am Lago Maggiore wandelte das Schicksal heran. Ein älterer Brite, dessen gute Haltung den Offizier verriet, begrüßte als Londoner Bekannter die Gesellschaft und bemühte sich bald auffallend um Miß Loraine. »Der Herr dürfte wohl fünfzig Jahre zählen«, warf Otto hin.
    »Man sieht's ihm nicht an«, lehnte Miß Russel kühl ab.»Übrigens gefallen uns Frauen gesetzte Männer reiferen Alters besser als grüne Schwärmer, die sich in Illusionen wiegen. Der Oberst ist noch ein schöner Mann.«
    »Geschmackssache. Invalide mit einem Arm!«
    »Der andere wurde ihm bei Waterloo weggeschossen«, betonte der Onkel gewichtig. »Das macht ihn jedem Briten teuer.«
    Isabel versicherte, daß sie besonders für Helden schwärme. Auch trat zutage, daß der Kolonel – » of a very good family, highly-connected « – 3000 Pfund Revenüen, 4 Vollblut in Marstall und einen herrlichen Landbesitz habe. Dieser Enthüllung reihte sich die andere an, daß er in Miß Loraine das Ideal seines ritterlichen, obschon etwas ältlichen Herzens erkenne.
    Eines Mittags, nachdem er eine einsame Gondelfahrt nach Isola Bella unternahm, fand sich Otto allein, mit einem lakonischen Abschiedsbrief des blonden Engels, dem Stil nach von Miß Russel in die Feder gegeben, der eine Absage und ein Ausschlagen fernerer intimer Beziehungen enthielt. Man bestätigte dem aus allem Himmeln Gestürzten, daß die edeln Briten, umgürtet mit dem ganzen Stolze des perfiden Albion, den Staub des Kontinents von ihren Sohlen schüttelten. Während er in der Barke die »Verlobten« Manzonis las, trat

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