Bismarck 01
seine Verlobte über den Simplon die Heimreise an.
Der Verratene überlegte einige Stunden, ob er sich in den See stürzen solle, besann sich aber eines Besseren und fuhr spornstreichs über die Alpen. Aachen berührte er nicht. Seine Kasse erlitt solche Havarie, daß er sich in Frankfurt von einer schwerfälligen fremden Gallione ins Schlepptau nehmen ließ. Ein älterer Herr suchte einen Reisebegleiter, wozu Otto sich dienstbeflissen anbot. So tief heruntergekommen, nicht mehr Herr seiner Bewegungen, passierte er Göttingen, ohne seinen treuen Scharlach sehen zu können, da sein Gebieter schon am Mittag in Hannover sein wollte. In Einbeck, wo man übernachtete, konnte Scharlach sich nicht einstellen. So genoß Otto nicht mal den Trost, seiner Gereiztheit gegen Gott und Menschen vor seinem ältesten Vertrauten Luft zu machen. Sein aufgeregtes Gemüt empfand die ihm zugefügte Beleidigung bis ins innerste Mark wie ein zehrendes Gift, doch hielt er es seiner Würde nicht angemessen, je anderen sein Erlebnis zu beichten.
»Arm am Beutel, krank am Herzen, schlepp' ich meine müden Tage, und die Geister, die ich rief, lassen mich dummen Zauberlehrling nicht mehr los. Gegen unglückliche Liebe gibt's Universalheilmittel: Spielen, Saufen, Schulden, Reisen. Doch bei mir sind Liebe und Haß gleich unglücklich, beide ins Herz getroffen. Vertrauen verraten, Stolz bis aufs Blut gekränkt, wahrste Empfindung leichtfertig mißhandelt, ohnmächtiger Zorn nicht mal der Rache fähig ... solche Erinnerung soll ich mein Lebtag wiederkäuen. Und dies kaltschnäuzige, hochnäsige Britenpack belächelt meinen Haß wie der Mond den bellenden Köter. Wir deutschenMichel sind gerade gut genug, daß die Fremden auf uns herumtrampeln. Geht's Deutschland besser als mir? Ich unwürdiger Deutscher greine über mein kleines Los. Auch Patroklus ist gestorben und war mehr als du! Bah, leeres Strohdreschen der Amtsstreberei wird mir zuträglich sein wie mechanisches Holzhacken.« –
Doch die Anmaßung der Vorgesetzten, die sogar in Gesellschaften einen dienstlichen Ton anschlug, die protzige Krähwinkelei des Beamtentums dünkten dem Vielgereisten noch fataler als früher.
*
»Der Oberpräsident v. Bassewitz gilt doch als ein so würdiger Mann«, seufzte Frau v. Bismarck auf die Klagen ihres Sohnes.
»Ist er auch, doch der Zopf, der hängt ihm hinten. In Aachen war die Geschäftslast das beschmierte Papier nicht wert. Die Bureaukratie ist oft eine Sinekure für halbgeschäftigen Müßiggang. In Potsdam ist das Arbeitspensum größer, die Beamten sind fleißig und gewissenhaft, aber regieren vom grünen Tisch weltfremd die Landkreise. Die kleinliche Pedanterie bringt mich um.«
»Du hast doch wichtige Geschäfte bearbeitet«, unterbrach ihn Bruder Bernhard. »Den Dammbau bei Wusterhausen –«
»Ja, die Beiträge dazu von den Kommunen einzutreiben! Und so schöne Mahlsteuerprozesse! Das nennst du wichtig? Mir ist alles zum Halse raus.«
»Und doch bist du zum Staatsbeamten bestimmt!« betonte Bernhard eifrig.
»Zum Diplomaten!« bekräftigte die ehrgeizige Mutter. »Es wäre jammerschade –«
Der alte Herr v. Bismarck hatte kein Wort gesagt, jetzt klopfte er seine Pfeife aus und sagte bedächtig: »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich und der feinste Diplomat ist der liebe Gott. Der wird schon wissen, was für Otto gut ist. Wenn er die Beamtenhucke nicht mehr auf den geraden Rücken nehmen mag, so weiß ich Rat, was er anfangen soll. Unsere pommerschen Güter – daß ihr's nur wißt! – liegen sehr danieder, ich verstand nie, den Groschen in der Hand umzudrehen.« Er räusperte sich verlegen, seine Familie kannte ja seine geringe Begabung zur Sparsamkeit. »Es fehlt an der nötigen Aufsicht. Ich will mich ganz nach Schönhausen zurückziehen, ihr Söhne sollt in Pommern etwas herauswirtschaften, damit wir den verfahrenen Karren aus dem Dreck ziehen. Übrigens kann Otto zwischendurch sein Freiwilligenjahr abdienen.«
»Herzlich einverstanden, Vater!« Der von Beamtenbürde Erlöste atmete tief auf. »So werde ich doch endlich wieder reine Luft schlucken nach all dem Aktenstaub.« – – –
Unter den Linden 5 und später Bellevuestraße 22, wo der »Rittmeister und Ritter pp. v. Bismarck, Hochwohlgeboren« inBerlin wohnte, regnete es Beileidsbriefe von Verwandten und Bekannten. Besonders die Damen zürnten dem Ungeratenen, der nicht an der Staatskrippe sich atzen und das sanfte Beamtenjoch ertragen wollte. Die Gräfin
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