Bismarck 01
seinerseits konnte nie einen Angriffskrieg gegen Napoleon wagen, der so als Herr Europas gestorben wäre. Jedenfalls hinterließ er Frankreich so mächtig, daß es auch heut noch erheblich mitredet. Friedrich hingegen wollte nur einen Kleinstaat zu einer Großmacht erheben, und wenn ihm dies bei Lebzeiten glückte, so sank doch nach 20 Jahren Preußen tiefer als je zuvor. Das neue Preußen der Befreiungskriege hat mit Friedrich nichts mehr zu schaffen oder nur wenig, und sind wir etwa heut eine Großmacht geblieben? Nur auf dem Papier. Die wirklichen Großstaaten lächeln darüber, und ein Blick auf die Landkarte zeigt uns Preußens schmalen Leib wie in einem Prokustesbett vom Rhein bis Memel ausgereckt, Westfalen und Rheinland ohne unmittelbare Verbindung mit Altpreußen, Hessen und Hannover dazwischen. Wir sind nichts als ein Hauptbestandteil des Deutschen Bundes, und auch hier nimmt Österreich die oberste Stelle ein. Im Grunde ist der König von Preußen heut wie in alter Zeit nur eine Art Lehensträger des Habsburger Kaisers, obendrein abhängig von der Gnade des Zaren. Unsere Politik wird in Petersburg gemacht und von Wien aus vorgeschrieben. Sind das erfreuliche Eindrücke für ein preußisches Herz? Und gar ein deutsches? Doch den Unsinn geb' ich jetzt auf, die deutschen Brüder wollen ja nicht Brüder sein, also lassen wir sie schießen, sie wollen sich ja nicht von uns lieben lassen. Wir spotten über die Krähwinkelei der Kleinstaaten, doch bei uns zulande krähwinkeln wir auch ohne Augenmaß für wahre Machtverhältnisse. Immer noch schlafen wir auf Lorbeeren des Alten Fritz, und solch abgestandenes, aufgewärmtes Lorbeergemüse schafft uns Magenbeklemmung. Was gewannen wir durch die Befreiungskriege? Blutwenig. Deutschland ist immer noch ein geographischer Begriff und Preußen ein Kleinstaat. Was soll das werden! Ich traue dem faulen Frieden nicht, wir gehen irgendeiner Katastrophe entgegen, das fühlt man in der Luft. Das einzige, was wir haben, ist die Armee. Aber ich glaube, da fehlt noch manches. Das Landwehrsystem ist nur soso. Und kommt es zu inneren Zwistigkeiten –! Nun, Seine Majestät wird ja nicht lange mehr leben, und sein Nachfolgergibt die Verfassung. Da läßt sich manches für und wider sagen, doch der Absolutismus ist sicher überlebt. Ja, hier, wo man an den Alten Fritz denkt – der aufgeklärte Despotismus ist die beste aller Staatsformen, aber dazu braucht man erstens ein Genie, zweitens die lauterste Charakterstärke. Und wo sind denn solche Kräfte! Ein Ancien-Regime mit männlichen und weiblichen Günstlingen ist ein rechtes Elend. Nein nein, davon müssen wir loskommen. Mama hat ganz recht, ich bin auch liberal in diesem Sinne. Nur an den historisch gewordenen Gliederungen der Stände darf man nicht rütteln, wie die Schwarzrotgoldenen möchten. Zum Teufel, ich bin nicht verjunkert, habe ich mich je mit »von« unterschrieben? Aber daß die Bürger uns jedes Lebensrecht absprechen, ist eine lächerliche Anmaßung, denn so gut wie sie sind wir noch lange, und ich habe bei ihnen noch wenig Adeliges bemerkt. Der preußische Junker als Offizier ist ein Musterkerl, so was züchtet man nirgends als bei uns. Und ich glaube, ich werde doch noch übertreten in die Armee. Freilich, sich von dummen Vorgesetzten schurigeln lassen, ist kein Pläsier. Und wenn man hinter die Kulissen schaut, zweifelt man, ob auch hier nicht, geradeso wie in der Bureaukratie, die behäbige Mittelmäßigkeit alle Chancen hat. La prudente mediocrité , sagte l'Autre, der ein höllisch gescheiter Kerl war. Mir freilich unsympathisch mit seiner gallischen Charlatanerie und seinen korsischen Phrasenpomp. Wir Germanen träumen uns andere Helden. Aber welche? Das weiß ich selber nicht, denn der Alte Fritz ist mir auch noch zu sentimental, pathetisch und eitel, der olle Blücher zu rüde und sittenlos. Bei Gott, der alte Freiherr vom Stein wäre so mein Fall. Ein etwas ungemütlicher Herr für seine Untergebenen, auch zu feudal für meinen Geschmack, Reichsfreiherr bis in die Knochen trotz seines Liberalismus, aber ein sittenstrenger, durch und durch ehrlicher, weitblickender und großartiger Mensch, kein Preuße, das war ihm zu wenig, aber ein Deutscher, der ein deutsches Vaterland wollte. Bah, was ist des Deutschen Vaterland! Nirgendwo! Ich, der ich nicht ein Ausländer bin wie Stein, sondern ein erbangesessener Altpreuße, will ein Patriot bleiben in meiner bescheidenen Sphäre. Ich lebe und sterbe als strammer
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