Bismarck 01
Landjunker und fülle meinen geringen Posten und damit holla!
– – Landwirt Bismarck ließ sich nach Greifswald versetzen, um dort während seiner Dienstzeit Vorlesungen über Agrikultur zu hören. Denn sein Dichten und Trachten ging jetzt einzig auf praktische Landwirtschaft. Pünktlichkeit und Gehorsam, die er beim Militär lernte, wollte er seinen Dienstleuten gehörig einbläuen. Ihm hatte sein Hauptmann v. Röder auch genug die Hölle heiß gemacht und ihm beigebracht, daß man als Soldat ohne Ansehen der Person Order zu parieren habe und Muttersöhnchen nicht immer Urlaub bekämen, um ihre kranke Mutter zu besuchen. Frau v. Bismarck kränkelte plötzlich sehr, und Otto hatte vier Wochen länger in Berlin bleiben vollen, doch man setzte ihneiligst in Marsch, da er sich schon verspätet habe. Sein Kompagniechef in Greifswald, Portatius, behandelte ihn jedoch sehr artig und stellte ihm aus freien Stücken anheim, ob er wieder nach Berlin auf einige Zeit zurückreisen wolle. So erfuhr er, daß auch beim Militär öfter mit zweierlei Maß gemessen wird und ein Freiwilliger nicht umsonst Ritter v. Bismarck heißt. Da es ihm zu kostspielig schien, gleich wieder die Hin- und Herreise anzutreten, versprach er der Mutter, zu Weihnachten zu kommen und richtete sich in der kleinen pommerschen Universität häuslich ein, indem er den erhaltenen Urlaub zum Studium benutzte. Die Jäger rückten nach Stargard aus, und er hatte Muße, sich mit Chemie vertraut zu machen, wobei ein Medizinstudent ihm Nachhilfestunden gab. Praktische Ackerwirtschaft konnte er sich in der Umgebung ansehen. Auch aß er absichtlich im »Deutschen Hause«, wo sich täglich Landwirte einfanden, die in der Stadt ihren Roggen verkauften. Er saß zwischen diesen Rotbäckigen und Wohlbeleibten, deren unverwüstlichen Appetit er beneidete, deren dicke wulstige Hände und heftiges Schreien und Gestikulieren ihm aber den eigenen Appetit verdarben. Dabei verstand er nichts von ihren heftigen Gesprächen über Kornhandel und andere begeisternde Gegenstände, da sie alle Platt sprachen. Nur ab und zu schlugen menschliche Töne an sein Ohr: Raps, Hafer, Dreschen, Sämaschine, auch vernahm er vom »Berliner Schlägel« und »Stoppelroggen«. Dazu nickte er teilnehmend als gelehriger und verständiger Schüler und träumte nachts von ganzen Wagenladungen Mist. Das sind ja schreckliche Ochsen, meine neuen Kollegen! dachte er. Diese Veredelung durch Gottes freie Natur kann sich für Geld sehen lassen.
Als er nach der Wirtschaftsakademie Eldena hinausfuhr, hieß es: »Herr Direktor Schulz ist verreist, auch die Lehrer und die meisten Schüler.« So konnte er vom Unterricht in den Hörsälen vorerst nichts profitieren. Doch machte er sich über das »Hören« und Kollegienhefte seine eigenen Gedanken. Das ganze deutsche Lehr- oder richtiger Hörsystem mißfiel ihm. Eingepaukte Examina, wo die Examinatoren ihr sorgliches Augenmerk darauf richten, ob ihre eigenen Kollege fleißig von den Zöglingen der Wissenschaft besucht würden! Der zufällig Verschüchterte fällt durch, der Kecke und Schlaue, der sich auf ein besonderes Steckenpferd des Examinators zuritt, besteht mit Glanz. Lauter chinesische Zustände, gerade wie beim Beamtentum, nicht für die plebs contribuens der Regierten, d. h. hier der Schüler, sondern für die Professorenkaste eingerichtet, damit ihre Gelehrsamkeit nicht verhungere und sie eine Staatsanstellung haben. »Aus guten Büchern«, schrieb er seinem Vater, »lerne man ebensoviel« – oder richtiger: besser. Fast alles Große in der Welt stammt von Autodidakten. So ging diesem Originalmenschen, der alle Dinge in ihrer wahren Natur, nicht in konventionellem Schleier sah, auch die Vorstellung durch den Kopf, daß die verrostete Staatsmaschine erst durch einenin Schwung kommen könne, der aus sich selbst heraus, ohne alle Kleister- und Kleberoutine, die Staatsmechanik erlerne.
Bei einem Besuch in Karlsburg erfreute ihn seine Kusine Linchen mit der Post: »Deine Mutter befindet sich sehr in der Besserung. Der Doktor macht Hoffnung auf dauerndes Wohlbefinden.« »Gott sei Dank!« atmete er auf. »Ich möchte nach so langer Zeit wieder mal einige Zeilen an mich von Mutters eigener Hand sehen.« »Ich dachte gar nicht, daß du so viel Gemüt hast«, versetzte die Kusine schnippisch. Die Frauen mochten ihn alle gut leiden, schmollten aber, weil er sich so wenig um sie kümmerte, und fürchteten sich vor ihm mit einem unbestimmten, weiblichen
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