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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Größte seine Mission nur leihweise und auf Kündigung erhält und verworfen wird, sobald er sie erfüllte. Zweitens, daß Nationalität von Rasse und Sprache die stärkste Realität ist und das Natürlichste, Vernünftigste gegenüber der kosmopolitischen Duselei. Die Deutschen dürfen also nicht eher ruhen, bis sie ihre Nationalität fest und einig begründet haben.« Er sah ins Leere mit dem seltsamen Blick seiner wasserblauen Augen unter weißblonden buschigen Brauen, der seinem derben straffen Gesicht manchmal etwas Mystisch-Unheimliches gab.
    »Was sollen hier historische Diskurse!« Moritz setzte sich wieder mit ärgerlichem Stirnrunzeln. »Also Hegels Sophismen hatten dich gefangen?«
    »Warum nicht gar!« Otto schaute um sich, als ob er aus einem Traum erwache, er war in ganz andern Welten von Ahnungen gewesen. »Diese Pragmatik ist auch nur Mechanik und sagt mir nichts über mein persönliches Verhältnis zur Ewigkeit. Ich bin nicht Napoleon, sondern ein kleiner Mann. Diese Philosophen wandeln wie Könige immer auf der Menschheit Höhen und verlieren jeden Kontakt mit der wahren menschlichen Bedürftigkeit. Also Napoleon hat das Recht, als irdischer Vizekönig der Gottheit Millionen Menschlein wie mich abzuschlachten? Ich danke ergebenst. Kausal mag das sein, vernünftig find' ich es nicht. Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen, und jeder Sterbliche, den seine Mutter mit Schmerzen gebar, hat das gleiche Lebensrechtwie der Sohn der Bäuerin Lätitia. Genie hin, Genie her! Es gibt sittliche Verbindlichkeiten, bei der Geburt uns eingeschrieben. Soll ich denn meines Bruders Hüter sein? fragte Kain. Doch der Engel des Herrn sollte ihm antworten: Du weißt, daß du es sollst, du Brudermörder. Deshalb sagt Kant sehr treffend, es gebe zwei Beweise für die Existenz Gottes: der Sternenhimmel über mir und das Sittengesetz in mir.«
    »Und das Blut unseres Herrn Jesu Christi! Nun, Kant war sicher ein edler, obschon von der Heilswahrheit entfremdeter Geist. Deshalb schuf er auch den kategorischen Imperativ, jedem Preußen so teuer. Selbst der scheußliche Pantheist Fichte hatte ja lichte Augenblicke, wo er patriotisch den ›Aufruf an Mein Volk‹ unseres Heldenkönigs unterstützte.«
    »Du meinst wahrscheinlich die Reben an die deutsche Nation!« Otto lächelte, es war ein unangenehmes Lächeln. »Ja gewiß war Fichte ein großdeutscher Patriot, aber man sollte von Regierungswegen sich nicht auf ihn berufen. Er war, rundheraus gesagt, Republikaner, Fürsten- und Adelshasser, und es lächert mich, wenn ich ihn von Leuten zitieren höre, die ihn nie gelesen haben. Und Kant – ja, er war Preuße, sein Imperativ preußisch, aber nicht in dem Sinne, wie Ahnungslose ihn unnützlich im Munde führen. Mit Friedrich Wilhelm dem Dicken stand er sich schlecht, und die französische Revolution begrüßte er mit Freudentränen.«
    »Ach, so lassen wir doch diese elenden Heiden und Spötter!« rief Moritz erbost. »Freut mich, daß sie alle nichts taugten und ehrenwerte Staatsmenschen fälschlich Blumen um diese Schlangen winden. Komm zum Thema zurück, zur Erzählung deines traurigen Umgangs mit verkehrten Sophisten!«
    »Ich kam also zu Spinoza. Der beruhigte mich anfangs durch scheinbare Klarheit, eine Art höherer Mathematik. Lessing, ein tüchtiger Geist, der auch was Preußisches hat, was mich anzieht, und Goethe schworen ja auf ihn. Aber die rechte Beruhigung für alles Unfaßliche fand ich bei ihm nicht. Ebensowenig bei den modernsten Freigeistern. Sackgassen und Verstandeszirkel sind keine Erkenntnis. Und in der pommerschen Wildnis, getrennt von jedem geistigen Verkehr, sagte mir eine innere Stimme wie ein Wüstenprediger der Einsamkeit, daß vieles unrecht sei, was ich für erlaubt hielt. Indessen –«
    »In unserm Pommern, über das dein geistiger Hochmut sich erhebt, findest du manchen, der dich an sittlicher Reife turmhoch überragt.« Blanckenburg nahm einen hohen Ton an, sein wenig ausdrucksvolles Gesicht belebte sich, die Wärme seiner Überzeugung brachte seinen kreuzbraven Charakter zur Geltung. »Wir alle haben unser Kreuz zu tragen, aber wer es mit Anstand und Würde trägt, der ist der Vornehmste, nicht der selbstgerechte Pharisäer des Eigendünkels.«
    Otto sah ihn ernst an. »So gefällst du mir. Du bist einwahrer Freund. Doch du überredest mich nicht, daß der Herr der Welt sich um unser sittliches Verhalten kümmert. Es ist bloß menschliche Überhebung zu wähnen, der Schöpfer tue uns seine Gebote

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