Bismarck 01
ausruhen konnte von krankhafter Aufregung modernen Trachtens. Er begrüßte dies neue Milieu einer ihm bisher fremden Gesellschaft, abseits vom Tageslärm, wie ein Ermatteter ein Schlummerkissen. Der Reiz des Neuen spielte dabei mit, ein oft entscheidender Beweggrund bei psychologischen Wandlungen. So wurde ihm allmählich ein Bedürfnis, auf den Gütern der Puttkamers, Retzows, Thaddens vorzusprechen, ein gern gesehener Gast, da nichts der frommen Eitelkeit so schmeichelt, als verlorene Sünder zum Himmel emporzuheben, wenn auch nicht gerade mit feurigen Armen.
»Nur nicht so hitzig!« Fräulein Johanna v. Puttkamer zog die reine weiße Stirn etwas in Falten, als eine Freundin, Fräulein Anna v. Blumenthal, sich in schüchterne Lobeserhebung über den stattlichen Kniephofer ergoß. »Seine Vergangenheit soll nicht die beste sein. Mama hat so was gemunkelt. Er ist ein schrecklicher Trinker. Unser Herr Pastor sagte früher – es ist schrecklich, es nur zu denken – Herr v. Bismarck sei ein greulicher Atheist.«
»O ist das möglich?« Die junge Dame schlug entsetzt die Hände zusammen. »Gibt's denn solche Unmenschen? Der Ärmste! Doch heut ist er sicher bekehrt, denn neulich vorigen Sonntag ist er zur Kirche gegangen, das weiß ich bestimmt.«
»Woher denn?« frug Johanna mißtrauisch. »Hast du ihn so beobachtet?«
»Du glaubst wohl, ich interessiere mich für ihn?« gab Anna errötend zurück. » Pas si bête ! An heiraten denkt der ohnehin nicht. Nein, Vetter Bruno hat es selbst gesehen und gestaunt.«
»Das wäre ja ein sehr guter Anfang!« Johanna sah sinnend in die Ferne. »Die heilige Schrift sagt, es sei so viel Freude im Himmel über Bekehrung eines Sünders. Ja, dann kann er wohl noch gerettet werden.«
Moritz v. Blanckenburg rieb sich vergnügt die Hände über das Gelingen seines Plans, Ottos Gottentfremdung durch Zufluß von Menschenfreundlichkeit zu heilen. Auch die schöne Kusine, die gräfliche Bismarck, die von jeher an seiner Entwicklung Anteil nahm und wiederholt darin einzugreifen suchte, freute sich, jedoch mit andern Absichten. »Das ist der erste Schritt zu vernünftigem gesetzten Leben, und nun die Hauptsache: er muß heiraten!« entschied sie. Um den Boden vorzubereiten, vertraute sie einigen mit Otto gutbekannten Husarenoffizieren der Garnison Schlawe,die bei ihr in Manöver-Einquartierung lagen, unter dem Siegel des Geheimnisses an, daß ihr Vetter sich bestimmt noch dies Jahr mit Komtesse Schulenburg verloben werde. Es war dies jene Ballschönheit, für die ihr bevorzugter Tänzer, der Schönhauser, einen Tag und eine Nacht lang ein menschliches Rühren spürte und Symptome von Verliebtheit zeigte, die aber ebenso rasch verpufften. Ein schöner weiblicher Körper hatte für ihn nur geringe Anziehungskraft, und weiter hatte die Dame nichts zu bieten, auf der Innenseite standen nur die gewöhnlichsten Lettern des Durchschnittsweibchens.
Übrigens machte sein alter Skeptizismus nicht immer Halt vor den neuen Bekanntschaften, und er ließ seiner satirischen Laune öfters den Zügel schießen oder urteilte schroff. Die Pastorin unter Puttkamer-Reinfelds Kirchenpatronat fand er unliebenswürdig, obschon sie die Angel gottseliger Liebenswürdigkeit nach ihm auswarf. Einen Musikbeflissenen, der sich um eine Puttkamer-Versin bewarb, bezeichnete er als ein bloßes Klavier mit einem Affen darauf als Porzellannippes. Einen Assessor Lepsius, der schmachtend dem schwarzhaarigen Fräulein Johanna huldigte, konnte er nicht ausstehn. Die Vettern Albert und Bruno schienen ihm frauenzimmerlich geziert. Da diese jungen Männer alle so viel von der oft munteren und herzlichen Johanna hielten, lenkte dies sein Aufmerken auf sie hin, und er unterhielt sich lange mit ihr auf einem Spaziergang durch die Puttkamerschen Vorwerke Reddis und Alt-Koglizow.
»Wir sprechen es Kautschlow aus«, belehrte sie ihn. »Warum, weiß ich nicht, denn Platt ist's nicht. Vielleicht heißt es so von alters her, wo die heidnischen Kassuben hier hausten ... ach Gott, wir haben noch viele davon in der Nähe, und mit ihrem Christentum ist's nicht weit her.«
»Sind sie denn sonst schlechte Menschen, lügnerisch, diebisch?«
»Nicht gerade das. Aber sie haben alle keinen rechten Glauben.«
»Wenn aber nun einer nicht glaubt, aber gleichwohl Gottes Geboten folgt, ist er dann schlechter als einer, der stramm glaubt, aber sündigt?«
»Das versteh' ich nicht. Wer glaubt, sündigt doch sicher am wenigsten.«
»Wer's glaubt!
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