Bismarck 02
schon die Bescherung: schmähliche Niederlage der Italiener bei Custozza. Dort fing der Feldzug schlecht an. Doch in Berlin vergaß man plötzlich allen Parteihader. Der preußische Adler hatte seine Schwingen entfaltet und trug alles kleinliche mit sich davon. Podol, Münchengrätz, Nachod – die Namen Steinmetz und Division Horn waren in aller Munde – Schlesier und Thüringer hatten sich mit Ruhm bedeckt – fortwährend Gefangene und Trophäen. Zwar lief die Hiobspost von einer Schlappe bei Trautenau um, die der unfähige Bonin, sonst ein nobler Charakter und Freund des Königs, bei Trautenau erlitt. Doch in folgenden Tagen wußte man, daß die Garde diese Scharte bei Soor glänzend auswetzte und auf der anderen Seite die Brandenburger vordrangen. Jetzt gab es jeden Abend Serenaden vor dem Ministerium des Auswärtigen. Auch ein Mißerfolg von Landwehr gegen die doppelt so starken Hannoveraner bei Langensalza wurde richtig gewürdigt als strategisches Manöver. Die Treffen von Stalitz und Gitschin waren im Gange, die preußischen Fahnen wehten siegreich nach Böhmen hinein. Otto strahlte von Siegeslust, seine Tischgäste staunten über sein frisches Aussehen, seine neubelebte Kraft. »Die telegraphische Verbindung mit Italien ist unterbrochen«, kam die Meldung. Ohne sich im Gespräch stören zu lassen, wies Otto kurz den Legationsrat an: »Lieber Keudell, befehlen Sie, daß die Telegramme über London befördert werden!« Eine kurze Weile darauf hieß es: »Exzellenz v. Moltke wartet.« Mit einem Sprunge war Bismarck draußen, wo die lange hagere Gestalt des Generals an der Tür lehnte.
»Was bringen Sie? Geht die hannoversche Sache gut?«
»Wie am Schnürchen. Man hat soeben kapituliert. Es handelt sich jetzt darum, daß das große Hauptquartier nach Böhmen zur Armee verlegt werden muß. Seine Majestät muß sich zu den Truppen begeben, um ihre Stimmung zu heben.«
»Ich werde dafür sorgen und Majestät Vortrag halten, er wünscht sich nichts Lieberes. Natürlich begleite ich ihn.«
Moltke schien das nicht sonderlich gern zu hören. »Es wäre vielleicht gut, wenn Sie zurückblieben, um die politische Aktion zu überwachen.«
»Das tue ich weit besser, wenn ich den Ereignissen nahe bin. Ist eine Entscheidung bevorstehend?«
»Höchstwahrscheinlich. Jedenfalls naht sie sich bald.«
»Dann wird auch bald der Zeitpunkt eintreten, wo die Politik den Kriegserfolg ergänzen muß. Ich werde an Ort und Stelle sein.«
»Ganz wie Sie belieben. Ich bitte also, Seine Majestät sofort in Kenntnis zu setzen.« Moltke ging mit kurzem militärischem Gruß. Die Militärs möchten mich fernhalten! dachte Otto beunruhigt, daraus wird nichts. Er plauderte wieder mit größter Unbefangenheit und lud die Gäste ein, ihm in den Garten zu folgen. Kurze Besprechung mit General v. Werder unterbrach die Promenade, dann führte der Wirt sorglos seine Freunde im Garten herum, an dessen wohlgepflegtem Rasen er sich freute. »Wie das wohltut! Die Natur macht immer wieder frisch, die alte Mutter Erde. Die Sage vom Antäus, der stets neue Kraft beim Ringen erhielt, sobald er die Erde berührte, hat tiefen Sinn. Heute morgen war ich so übermüdet, daß ich im Vorzimmer des Königs auf einem Sofa einschlief. Wissen Sie was? Kommen Sie mit mir in meinen Eiskeller! Von dort blickt man ins Grüne der großen Gärten hinter der Wilhelmstraße. Man kann nie genug Grün und Laubwipfel sehen.«
Ein Gewitter zog herauf, zugleich mit ihm eine brausende Volksmenge, die aus den beflaggten Linden in die Wilhelmstraße lenkte. Skalitz, ein neuer Sieg, Depeschen soeben eingetroffen! Und damit nicht genug, erfuhr das jauchzende Berlin, daß das ganze hannoversche Heer mit König Georg bedingungslos die Waffen streckte. Teils seinem eigenen ritterlichen Sinn gehorchend, teils auf Ottos Rat hatte der König dem nach Berlin gesandten Parlamentär mildernde Zusätze gemacht, die für die Zukunft jeden Stachel gekränkter Waffenehre entfernten, und dabei blieb es, eine staatskluge Großmut. Die Hessen entzogen sich früher ähnlichem Schicksal durch Abmarsch nach Frankfurt zum Bundeskorps des Prinzen Alexander.
Da die Ovationen ihm keine Ruhe ließen, trat Otto auf den Balkon. Ein Blitz beleuchtete sein Gesicht, ein Donnerschlag rollte in den Lüften. Zum erstenmal im Leben in theatralisches Pathos verfallend, hob er die Hand und rief: »Der Himmel schießt mit Viktoria!« Unermeßlicher Jubel. Was noch von Haß, Neid, persönlicher und politischer
Weitere Kostenlose Bücher