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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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appretieren. Es ist unpatriotisch, durch Kritik und kalten Kalkül die Begeisterung und das Stärkegefühl zu dämpfen.« Das wandte er nachher unverhohlen gegen jede Kritik seiner Strategie an und ließ auch zu, daß im Generalstabswerke und allen nachfolgenden Historien zu lesen stand, nach der ersten Einnahme von Chlum habe kein österreichischer Fuß wieder das Dorf betreten, eine schreiende Unwahrheit. Eine gewisse Berechtigung liegt in solcher »Appretierung«, die sich später für einen noch größeren Feldzug bei vielen Gelegenheiten fortsetzte, so daß die wahre kritische Forschung schwer den Schutt forträumen konnte und natürlich nach Möglichkeit unterdrückt und totgeschwiegen wurde. Moltke konnte sich auf den großen Napoleon berufen, dessen Bulletins auch nicht immer die Wahrheit sagten, obschon es geradezu grotesk wirkt, daß man preußischerseits diese Tatsache maßlos ausbeutete. (Napoleons Bulletins entsprachen im großen ganzen entschieden mehr der Wahrheit als die prahlerisch verlogenen Berichte seiner Gegner.) Doch hat die Berechnung, man müsse die eigene Gloire möglichst erhöhen, um das Selbstgefühl zu stärken, eine tödliche Gefahr. Sie lockt stets zur Unterschätzung des Gegners, was Frankreich am eigenen Leib erleben mußte. Dies alles kann zu unberechenbar schädlichen politischen Folgen führen. Mit dem Instinkt des Genies ahnte und wußte Otto Bismarck dies alles. Er sah bildlich vor sich, wie der militärische Größenwahn ihn um alle Früchte seiner Staatskunst prellen würde. Seine physischen Nervenschmerzen übermannten ihn dabei so, daß er plötzlich aufstand, sich stumm verbeugte und in sein anstoßendes Schlafzimmer ging. Dort brach jener Weinkrampf los, von dem sein Nervensystem im Augenblick höchster Erregung und Erschütterung erzitterte. Man konnte dies unheimliche Schluchzen des Titanen deutlich im Salon hören. Die Militärs sahen sich an, zum Teil mit unangenehm verächtlichem Lächeln, zum Teil mit geringschätzigem Mitleid, und baten um ihre Entlassung, nachdem festgestellt, daß der König sich der Majorität anschloß. Der Kronprinz verhielt sich völlig leidend und sehr ernst. Seine Züge nahmen einen merkwürdigen Ausdruck von innerer Ergriffenheit an.
    *
    Trotz seiner Ermattung brachte Otto die Erwägungen zu Papier, die seinen Entschluß begründeten, und begab sich zum König. Vorher hatte er dem bayrischen Minister v. d. Pforten, der eintraf, um Separatfrieden zu schließen, kurz und bündig offenbart: »Wie die Dinge liegen, rate ich Ihnen, sofort wieder abzureisen, um Mißhelligkeiten zu vermeiden.«
    »Sie wissen, ich bin ein nationalgesinnter Mann und wünsche Eintracht auf der neuen Grundlage. Doch Bitterkeit darf uns nicht ins Blut gesetzt werden. Man hat mir zugeflüstert, daß auch Abtretung der Pfalz an Preußen uns angesonnen werden soll oder Abrundung durch Franken mit der Hauptstadt Nürnberg geplant werde. Das würde die bayrische Nation nie verwinden.« »Die bayrische ›Nation‹ ist eine Fiktion«, erwiderte Otto ruhig, obschon ihm bei seinen Nervenschmerzen schwer fiel, seine Entrüstung zu bemeistern. »Bezeichnend, daß der so echtdeutsch gesinnte Ludwig I., den man trotz Lola Montez verehren muß, die gräuliche Verleumdung aufbrachte, die Bajuvaren seien keltischen Geblüts. Diese braven deutschen Jungen! So geht der Partikularismus bis zum moralischen Landesverrat, verleugnet sogar den Stolz germanischer Abstammung. Wir Deutschen sind die seltsamste unergründlichste Rasse der Welt. Statt Patriotismus haben wir wahnwitzig verdrehtes Stammesgefühl, unsere Selbstsucht ist ebenso phänomenal wie unsere Idealität. Erst wenn man den Deutschen eine große Idee veranschaulicht, werden sie wörtlich Idealisten wie keine auf Erden und setzen die Welt in Erstaunen durch ihre inkommensurable Kraft nicht nur, sondern ihren opferwilligen Idealismus. O wolle Gott,« sein Auge fing wieder zu tränen an und sein Gesicht zuckte, »daß ich das noch mal erlebe! Dann will ich gern zur Grube fahren.«
    Pforten war sehr ergriffen. »Sie wissen, daß ich Sie jetzt ganz erkenne. Geben Sie mir keine Hoffnung auf Ausgleich?«
    »Wenig. Kommen Sie wieder, wenn besser Wetter ist. Ob ich Minister bleibe, ist fraglich. Ist dem so, betrachten Sie dies als Wahrzeichen, daß einstmals die Bayern sich nur als Deutsche fühlen werden.« –
    Als er zum König ging, traf er im Vorzimmer zwei Regimentskommandeure, die über böses Überhandnehmen der Cholera

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