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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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reaktionärer Unhold und später so manche Nacht hin und her wandelte, um sich von der täglichen Tretmühle der Kammerdebatten auszulüften. Die lange Wanderschaft ist nun beendet, wir nahen dem Gipfel des Berges.
    Wie er vorhergesagt, zeigte die Kammer volles Verständnis für das Indemnitätsersuchen und bewilligte jede neue Forderung mit wärmstem Vertrauensvotum. Man begriff die Mischung vornehmer Ironie und bitterer Wehmut in Bismarcks Rede: jetzt sehe man wohl, die Regierung sei nicht so gleichgültig gegen nationale Fragen, als man geglaubt habe, sie habe nur Schweigen bewahren müssen. Mit Ernst mahnte er: «Unsere Aufgabe ist noch nicht vollendet, sie verlangt die Einigkeit der ganzen Nation.« Man habe mal geklagt, die Diplomatenfeder verderbe, was das Schwert tat. Doch was jetzt Schwert und Feder gemeinsam erwarben, das werde fortan nicht mehr durch das Wort auf der Tribüne zerstört werden, darauf baue er. Allgemeiner Beifall, nur die Unentwegten um Virchow hüllten sich in eisiges Schweigen. Die sonstigen Liberalen aber rieben sich gleichsam die Augen, als sei ein Schleier gefallen, und sie betrachteten den Mann da oben mit ganz anderen, oft geradezu verliebten Blicken. War man denn blind gewesen? Wie er so stattlich dastand in seiner neuen Uniform als Generalmajor, wozu ihn der König ernannte, um gleichsam seine kriegerische Bedeutung hervorzuheben, militärisch straff und doch voll einer gewissen jugendlichen Elastizität, vornehm und doch mit leichter eleganter Ungezwungenheit, richteten sich alle Augen auf diese gewaltige gewölbte Stirn, die ein sonst nicht scharfgezeichnetes Antlitz vollkommen beherrschte. Dies war das Antlitz eines reinen Gedankenmenschen, bei welchem Verfolgen einer Idee jede andere Regung zurückdrängt. Die matte bleiche Gesichtsfarbe, die sonst nicht zu dem reckenhaften Leib zu stimmen schien, paßte zu dieser Stirn und diesem vorgebauten Forscherauge von unbestimmter Färbung, das mal wasser-, mal dunkelblau schien, weil oft von einer eigentümlichen Helle durchzuckt, als führe ein Blitz hindurch. Die Blässe sprach von schlaflosen Arbeitsnächten, von unaufhörlicher Anspannung, von körperlichen und vor allem seelischen Leiden, die Goethes Harfnerlied erprobten. Wer nie die kummervollen Nächte ... und ein tieferer Beobachter hätte dazu genickt: Der kennt sie, die himmlischen Mächte. Das spärliche dunkelblonde Haar war nicht umsonst ergraut. Die schmalen, fest zusammengepreßten Lippen zuckten mal in vernichtendem Spott, mal umspielte sie liebenswürdig harmlose Heiterkeit. Die untere Partie des Gesichtes, die Gestalt und manchmal ein düsteres Aufblitzen des Auges verrieten den Tatmenschen, doch Stirn und Auge sonst den reinen Ideenspinner, den metaphysisch-abstrakten deutschen Genius, und der Ausdruck in unbewachten Augenblicken strahlte von tiefstem deutschem Gemüt und verborgener sittlicher Größe. Einen solchen verkörperten Genius deutscher Rasse hat man noch nie gesehen.
    Und doch, o Trauer, o Schande, haben viele edle gute Deutsche ihn nie oder zu spät erkannt. Und es gibt solche, die ihr Leben lang giftigen Schwatz gegen den Heros häuften und erst im reifen Alter den Weg nach Damaskus fanden. So umgibt uns alle ein Schleier der Maja, der äußeren Täuschung, der Phrasenberauschung. Aber war Otto ganz schuldlos an solcher Verkennung? Legte seine souveräne Verachtung der Schwätzer und Ästheten es nicht förmlich darauf an, daß man sein wahres tiefstes Wesen verkannte und an den lächerlichen Popanz brutaler Realpolitik und byzantinischer Streberei glaubte, den jetzt sehr bald, als der Erfolg ihn krönte, alle einfältigen ungebildeten Machtanbeter in ihm verehrten?
    *
    Am 20. September schritten ausgewählte Abteilungen der siegreichen Truppen durch eine Allee von 200 eroberten österreichischen Geschützen. Man streute Blumen, man schüttelte Lorbeerkränze aus, man läutete alle Glocken, man schoß den Viktoriasalut am Lustgarten, viele hunderttausend Kehlen sandten ein rasendes Hurra in die Luft. Des Königs Gesicht blieb ernst, fast finster. Er dachte an die langen Tage, wo kein Hut sich vor ihm lüftete, an die schrecklichen Seelenqualen, die er durchlitt, und das Kolossale napoleonischer Menschenbewertung ging ihm auf: Voilà les hommes! Der Erfolg ist ihr Gott.
    Hinter ihm auf der Rechten, neben sich Moltke und Roon, saß der Schöpfer all dieser großen Dinge sehr still und reglos im Sattel, geduldig und teilnahmlos wartend, bis die Ansprache

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