Bismarck 02
Liebende sind so unpraktisch, nüchterne Leute rekommandieren Briefe. Ihrem Briefträger wird Kollege Itzenplitz noch aufs Dach steigen.« Bei den Austern sah man, daß dieser schlichte Herr im Buckskin an kaiserlichen Tafeln saß. Johanna aber mahnte später: »Otto, dies Gericht darfst du deinem kranken Magen nicht antun!«
»Nun frage ich Sie, meine Damen,« er ließ die Schüssel vorübergehen, »kam Ihnen je solch ein Prachtexemplar von gehorsamem Pantoffelhelden vor?« Die reizende kluge Fürstin brachte die hübsche Bemerkung an: »Sie also, liebe Gräfin, sind die einzige Glückliche, der unser eiserner Graf sich beugt.«
Johanna, die Schmucklose, in einfachem grauen Seidenkleid, erfüllte die anwesenden Offiziere mit einer merkwürdigen bezwingenden Hochachtung. Ihr reiches schwarzes, in der Mitte schlicht und sauber gescheiteltes Haar trug keinen Kopfputz. Das dunkle tiefe Auge, das auch ihre Tochter erbte, hatte eine ruhige Klarheit, einen heiteren Lebensernst, der die Urweisheit des weiblichen Geschlechtes widerstrahlte. Sie schien die Verkörperung hausmütterlichen Wohlwollens und Wohltuns und doch eines starken Charakters, mit einem Worte: eine echte Frau. Die bescheidene Anspruchslosigkeit dieses ausgezeichneten weiblichen Menschen wirkte geradeso unheimlich ehrfurchtgebietend wie die problematische Genialität des Gemahls. Auf die freundliche Bemerkung der Fürstin erzählte sie mit bestem Humor, wie Ottochen sich außerdem noch dem Koch beuge, der als Premier der Küche sich nicht gefallen lasse, wie der Ministerpremier über seinen Arbeiten das Diner versäume.
Otto erzählte wehmütig von einer anderen Küchenherrschaft in seiner Jugend, der guten alten Trine Neumann, die als Mädchen für alles die Brüder Bismarck auf dem Berliner Gymnasium überwachte und ihnen jeden Abend wunderbare Eierkuchen buk. Wenn der kleine Otto zu lange ausblieb und die Kuchen anbrannten, schimpfte sie: »Ut dich wat ins Leben nix Vernünftiges.« Der Minister warf kleine Eisstückchen in den Champagnerkelch und hob ihn hoch. »Deinem Andenken, gute alte Seele! Wenn du das erlebt hättest, daß dein toller Otto doch noch vernünftig wurde!« Und wer weiß, dachte er heimlich, ob unsere lieben Abgeschiedenen es nicht doch miterleben und immer in unserer Nähe sind! Mein guter alter Vater hätte sich auch gefreut – vielleicht freut er sich gerade jetzt und sitzt unsichtbar mit am Tische. Er stand auf und blickte zum Fenster hinaus auf das mondhelle Mönchgut. »Ach, meine Herrschaften, selig sind die Einfältigen. Vielleicht sind die braven Insulaner hier, abgeschlossen von der sündigen großen Welt, viel glücklicher als wir. Unseren Tand entbehren sie nicht. Wenn sie Brot und Hütte, Weib und Kind haben, wozu brauchen sie schlaflose Nächte des Ehrgeizes? Sie kennen nur Sturm und Kampf des allgewaltigen Meeres, das wie das Schicksal den Menschen erhebt, selbst wenn es ihn zermalmt. Wir Kinder der Welt bersten untereinander vor Neid, doch dies garstige Gefühl sollten wir nur gegen solche Naturkinder spüren, die nichts von unseren Plagen kennen.«
Es wurde von patriarchalischen Ursitten der Insel erzählt, plattdütsche Verse zitiert. Johanna klatschte Beifall. »Otto und ich kultivieren Plattdeutsch und lesen Reuter. ›Ut mine Stromtid‹ ist so lieb.« »Meine Frau liest es prächtig vor. Am Ende ist's ja unsere wahre deutsche Muttersprache, Luthers herrliches Bibel-Hochdeutsch legte Platt zugrunde, nicht das Mittelhochdeutsch der Stauferzeit.« Mit stolzem Behagen ging ihm durch den Sinn: wir Niedersachsen sind zuletzt doch die Überlebenden im Kampfe ums Dasein. Die Süddeutschen haben die ältere Kultur, die leichtere Geistesfrische, die künstlerische Begabung, doch wir Schwerblütigen und Ernsten haben das letzte Wort. Was die Engländer mit hochmütiger Absonderung Angelsachsen nennen, das sind ja wir. Wir haben England, Nordamerika und Preußen gemacht. Der »Saupreuß«, wie infame Hetzkaplane noch heute vor bayrischen Bauern schimpfen, ist der Atlas, der Deutschland trägt.
Er hörte Johanna einen Offizier freundlich abwinken: »Nicht immer Exzellenz sagen! Der Titel paßt nicht für mich, er ist mir so verleidet, weil viele Leute ihn mir wohl zehnmal in einem Atemzug ins Gesicht schmeißen.«
»Nun denn, gnädige Gräfin –«
»Am hübschesten finde ich Frau v. Bismarck. Dann denk' ich an stille frohe Zeiten, wo wir schlichte Landleute in Schönhausen füreinander lebten und für unsere
Weitere Kostenlose Bücher