Bismarck 02
des Magistrates vorüber. Seine Augen stierten matt und blutlos, die Pergamentfarbe der Wangen, die dicken schweren Wülste unter den Augen erschreckten die Zuschauer. Der schwere Helm preßte auf die gerunzelte Stirn mit geschwollenen Adern, als könne das gewaltige Denkerhaupt die Last nicht tragen. Der Mann sah aus, als habe er sich soeben erst von einem Sterbelager erhoben, das er nie hätte verlassen sollen. Fest und ruhig machte er die Zeremonien mit, sein siecher Leib dem dämonischen Willen Untertan. Noch gestern durchflogen böse Gerüchte die Stadt, er liege im Sterben. Ein neuer akuter Anfall des alten Vergiftungsleidens hatte ihn überkommen, und die Ärzte erklärten völlige Ruhe als einziges Mittel der Genesung.
»Es ist nicht nötig, daß ich lebe, doch daß ich meine Pflicht tue. Meine Abwesenheit im königlichen Gefolge brächte der nationalen Sache schweren Schaden. Die Feier würde gedämpft, das Ausland würde jubilieren. Das darf nicht sein.« Otto sprang aus dem Bett und kleidete sich sorgfältig an mit übermenschlicher Anstrengung.
»Du stirbst daran«, schluchzte Johanna.
»Dann sei tapfer! Ich stehe in Gottes Hand. Dann wird er einen anderen erwecken, das Werk zu vollenden, denn die Hauptsache ist getan. Aber das Werk schwächen und schädigen – eher sterben! Ich muß dabei sein, vielleicht kräftigt diese Stunde der Erhebung, wo ich das Werk sichtbar im Volke schaue, mein armes elendes Blut. Platz da! Ich reite mit.«
Doch so dumm ist die Menge, so abhängig vom Geklatsch ihrer Presse und ihrer Wortführer oder so betört von äußerem Glanze von Titel, Rang, militärischem Gloirepomp, daß nicht nur der König – was am Ende begreiflich und in diesem Falle auch wohlverdient war –, sondern auch die Generale, die im Grunde nur ihre herrlichen »Gemeinen« repräsentierten, sehr viel reicheren Applaus ernteten, als der stille leidende Genius. In die neue »Königgrätzer« Straße, wo seine Frau und sein Söhnchen den Einzug bei einem befreundeten Schweden ansahen, kam später der Bildgestalter von Alsen und Königgrätz, mit zornigem Unwillen und warf seinen Hut auf den Tisch: »Den großen Bismarck haben sie fast ignoriert.« Es ist ein Jammer, zu sagen, daß ein Engländer Dicey schriftlich den gleichen Ausweis hinterließ und feststellte: jeder Vernünftige, der über den äußeren Schein hinaussah, habe wie er nur auf den blassen sterbenskranken Riesen geschaut, der trotz nagender Schmerzen sich seinem Werke opferte und neben dem aller militärische Tand ins Wesenlose verblaßte.
Gott war gnädig, er konnte diesen Otto den Großen nicht missen. Er überstand's und floh zuerst nach Karlsburg zu Vetter Bismarck-Bohlen und dann nach Rügen, wo ihn sein alter Bekannter Fürst Putbus aus unbehaglichem Gasthofe in einen freundlichen Gartenpavillon als Gast einlud. Dort fand er seine alte Geliebte, die See, deren Hauch ihn belebend küßte, dort wanderte er im Urwalde der Insel Vilm, wenn er vom terrassengeschmückten Gartenhaus dorthin sich hinüberrudern ließ. Seine Jungens Herbert und Bill und seine Tochter Maria waren neben der treuen Lebensgefährtin fast sein einziger Verkehr. Der Patient verbat sich die eigennützigen Besucher jeder Art, auch Korporationen und Deputationen. Fürst und Fürstin Putbus im nahen Jagdschloß stellten sich selten ein, um nicht zu stören. Aus ihren Bogenfenstern schaute man auf grüne Einsamkeit und flimmerndes Meer und das rote Licht des Leuchtturmes Oie. Doch zauberte die wunderbare Mondlandschaft dem dichterischen Fühlen des Staatsdenkers alte Zeiten vor.
Einmal ließ er sich herbei, zu Gaste zu sein, doch Frackanziehen gab es nicht. Dunkler Buckskinrock, graue Beinkleider, ein wahrhaft großer Herr darf immer der alte Burschikosus bleiben, alle anderen sehen doch neben ihm wie gebildete Schuster aus. Man muß nur die richtigen Augen haben. Sein fröhliches Lachen klang so wohlklingend, als sei er noch der Göttinger Student. Seine immer gleiche vornehme Höflichkeit, die mit jovialer Derbheit abwechselte, gewann ihm schon manches ursprünglich abgewendete Herz. Als ihm ein damals weitbekannter, heute völlig vergessener Gartenlaube-Autor Wellner, der bis zu ihm durchdrang und am Diner beim Fürsten teilnahm, von einem originellen Briefträger für Liebende erzählte, lachte der Minister: »Briefsteller für Liebende sollen ein nützliches Möbel sein, ich hab's nie probiert, postillons d'amour gibt's ja überall, mit oder ohne Uniform, aber
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