Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
er sich innerlich längst von der Orthodoxie freimachte. »Die Agitationen in der Arbeiterwelt führen nur zur Zersetzung der verschiedenen Koterien Bebel, Liebknecht, Schweitzer. Und was Schulze-Delitzsch vorhat, die Erwerbsgenossenschaften – sie wollen im August tagen –, ist eher staatsfreundlich.« Er griff nach der Brust und mußte sich setzen.
    »Was ist Ihnen?« fragte Roon besorgt.
    »Eine Wiederkehr des alten Übels. Ich muß ausspannen, fürchte ich. Die vereidigten Ministerialbäume in Varzin werden nicht ausplaudern, was ich dort denke.« Auch nicht, wie schwer er dort litt, als er schon im Juni auf Urlaub sich schwer erkrankt unter ihren Schatten flüchtete. Und als er dort Ende August mit Keudell und Blanckenburg ausritt, tat sein Pferd einen Fehltritt in ein Maulwurfsloch, stürzte über ihn und verschlimmerte seinen bösen Gesundheitszustand. Maulwurfslöcher sind immer Großen gefährlich. Von seinem Krankenlager beobachtete sein rastloser Geist das Aufwärtsstreben der Nation. Die Einweihung des Lutherdenkmals in Worms war ihm geradeso willkommen wie die katholische Versammlung in Bamberg, die trotz allem ihr Deutschtum bekundete. Das Geheul der Konservativen über sozialistische Kundgebungen, daß »umfassende Organisation der Arbeiterschaft« den »Fortschritt vermittels Arbeitseinstellung« (Generalstreik) suche, belächelte er. »Kinderkrankheit und Machtfrage. Lassalle war einmal bei mir, ein bedeutender Mensch, obschon sehr eitel. Was praktisch durchführbar und gerecht am Sozialismus, wird an mir stets einen Förderer finden. Lassalle war ein gutdeutscher Patriot, der arme Kerl fiel ja im Duell in Genf, wie man hört, wegen eines Frauenzimmers. Wie kann man nur so dumm sein! Seine Rede zu Fichtes Gedächtnis im Hotel de Rome las ich mit Vergnügen. Ein feiner gelehrter Kopf, nicht ohne Verständnis für hohe Politik. Die Juden zeichnen sich überhaupt in der Nationalbewegung aus. Wohl ihr praktischer Sinn, der lieber ein großes als ein kleines Vaterland aus wirtschaftlichen Gründen erstrebt. Sie sollen mir willkommen sein, Vorurteile sind stets schädlicher Ballast. Lassalle brauchte in seiner Verteidigungsrede gegen Staatsanwalt Schelling – ›den kleinen Sohn des großen Vaters‹, na, mir wurde von des alten Schelling Pantheismus übel, und die Hegelei des Herrn Lassalle ist auch nicht nach meinem Geschmack – das Gleichnis: ›Die Griechen nannten jeden, der ihre Sprache nicht verstand, einen Barbaren. Der Herr Staatsanwalt und ich, wir sind für einander ... Barbaren.‹ Geistreich! Da fällt mir ein, daß unser Justizminister Lippe jetzt fällig wird. Solche antidiluvianische Überreste kann ich nicht brauchen. Er muß weg, die Kammer wird jauchzen.«
    Lassalle, der ihn bewunderte, nahm er nicht ganz richtig das Maß, indem er ihn später herablassend als einen liebenswürdigen gescheiten Kerl öffentlich anerkannte. Das Tagebuch des Gymnasiasten hat Stellen, wo man singt: Haben Sie nich den kleinen Cohn gesehn? Die Eitelkeit des schönen blonden Mannes, der vor seiner adeligen Liebsten prahlte, er werde noch mit vier Pferden lang durchs Brandenburger Tor als Präsident der deutschen Republik fahren und dabei die kümmerliche Person eines Co-Israeliten Levi aus Rodenberg brutal verspottete, der das große Wort gelassen sprach: »Ich hasse nichts so wie Juden und Literaten, leider bin ich beides«, der für Platens frostige Didaktik schwärmte, nachdem er Heine in Paris sich in Lachkrämpfen über seine Ideologie winden sah, hatte etwas Abstoßendes. Doch die echte Genialität und der wahre deutsche Idealismus dieser begeisterungsfähigen Natur, deren »aristokratische« Genußsucht doch kein Opfer für seine Ideale scheute und nie den kleinsten Gewinn von seinem Eintreten für die Enterbten zog – ließ er davon ab, stand ihm jede Laufbahn offen, sei es als Führer der Liberalen, sei es als Mitarbeiter Bismarcks – rechtfertigen es, daß auch er in die Unsterblichkeit einging. »So gehen wir den Pfad, den uns geführt Lassalle«, die Arbeitermarseillaise verewigt sein Gedächtnis. Daß er vorzeitig einen törichten Tod fand, mochte für ihn ein Glück sein nach dem Gesetze des Karma. Daß Bismarck einen wertvollen Bundesgenossen verlor, war aber sicher kein Glück. –
    Ms der endlich Geheilte Anfang Dezember nach Berlin zurückkehrte, atmete alles auf. Im Norddeutschen Reichstage erschien er stets im blauen Rocke des Königs. Seine Gebärden kannte jeder, sein Umherspähen

Weitere Kostenlose Bücher