Bismarck 02
widersprach, als ein Abgeordneter die schönen Worte sprach: »Jetzt ist Frühling in Deutschland, und obwohl einige von uns nacheinander mit Schneebällen schmeißen, so wird der Lenz sie bald des Materiales für diesen Zeitvertreib berauben.« Am 21. Mai gab die Berliner Kaufmannschaft im Börsengebäude dem scheidenden Zollparlament ein Frühstück. Dessen Präsident Simson toastete in schönen Worten auf das »große und gute Berlin«. Niemand könne weissagen, wann das Zollparlament sich zu einem Reichstage des Gesamtstaates deutscher Nation entwickeln werde, doch wir warten darauf. Da erhob sich der Kanzler und rief den süddeutschen Brüdern einen Scheidegruß zu. Der schnell vergangene Frühlingstag gemeinsamer Tagung möge nachwirken wie der Frühling auf künftige Zeit. Mögen die Süddeutschen die Überzeugung mit nach Hause nehmen, daß sie hier Bruderherzen und Bruderhände finden für jegliche Lage des Lebens. Kaum verklang der begeisterte jubelnde Beifall, als Hohenlohe, ein schmächtiger unansehnlicher Herr mit einer feurigen Seele, ein Hoch ausbrachte auf die Vereinigung aller deutschen Stämme.
*
So ging die Saat denn herrlich auf. Auch bewiesen mancherlei Zeichen, daß in Preußen selber das Vertrauen zum Bundeskanzler immer höher stieg. Das ehrsame Städtchen Bütow überreichte ihm ein Ehrenbürgerdiplom, und die Deputation erzählte nachher von der Leutseligkeit des großen Mannes, der ihnen sogar ein Nachtquartier bei sich anbot. Doch die biederen Bürger versprachen ihren Eheliebsten, vor Mitternacht deren Neugier zu stillen, und so mußten sie eiligst zur Bahn. Worauf Frau Gräfin ihren Mann anlächelte: »Da du jetzt auch Bürger von Bütow bist, so mußt du fortan auch diesem guten Beispiel deiner Mitbürger folgen, das wäre mir sehr lieb.« Otto zuckte lachend die Achseln und arbeitete wie gewöhnlich die ganze Nacht.
Für den Antipartikularismus in deutschen Landen zeugte es, daß die Kammern sich gegen die Generosität empörten, mit der König Wilhelm auf Bismarcks Rat die Depossedierten aus ihren früheren Revenuen unterstützte. Gegen den blinden Welfen richtete sich der heftigste Haß, der in Hietzing unterm Schatten der Wiener Hofburg weiterintrigierte. Bezüglich der Vorgänge bei Langensalza kann man juridisch verschiedener Meinung sein, da verstockte Welfische behaupten, der arme Blinde habe damals zu Preußen übertreten wollen und auch vorher nicht unbedingt Neutralität abgelehnt, der fürchterliche machiavellische Bismarck aber habe aus guten Gründen dies zuschanden gemacht. Doch was galten solche Rekriminationen vor dem geschichtlichen Forum, da die höhere Moral alldeutschen Nutzens einzig auf seiner Seite stand! Er setzte jetzt dem König auseinander, daß er aus wohlerwogenen Gründen dem Entthronten so große pekuniäre Vorteile zugestehe, obschon dieser außerdem noch sechs Millionen Taler in der Bank von England und vier Millionen aus Herrenhausen mitgenommen hatte. »Die früheren Untertanen könnten sentimentale Klagen führen, der Letzte eines so alten Herrscherhauses sei in Bedürftigkeit versetzt. Ferner können wir England in diesem Punkte verpflichten. Drittens wird König Georg sich bound in honour fühlen, wie das Londoner Kabinett sagt, von jeder Feindseligkeit abzustehen, obschon er keinen Abdankungsakt unterzeichnen will.« Er blieb so fest, daß er der Kammer mit seiner Demission drohte, und so gewaltig wuchs sein Ansehen, daß sie diese Drohung ebenso einschüchterte wie den dankbaren König. Dabei rechnete er aber genau, daß der hochmutverrückte und jedes Deutschgefühls, das er beständig im Munde führte, bare Dynast sich selbst ins Unrecht setzen würde. Das tat dieser in überraschender Weise. Er entblödete sich nicht, eine Welfenlegion zu bilden, die ihm jährlich 300 000 Taler kostete und die schamlos nach verschiedenen Irrfahrten in Frankreich landete, um sich dem Landesfeind gegen das Vaterland anzuschließen. In Hietzing drängten sich Deputationen von Strolchen auf des Blinden Kosten, die auf Wiederherstellung seiner Herrschaft tranken. Leider nahm ein begabter und angenehmer Mensch, der sogenannte Hofrat Meding, ein Romanschriftsteller von entschiedenem Talent, der unter dem Namen Gregor Samarow später hohe Honorare aus seiner Preisgabe diplomatischer Geheimnisse zog und damit seine leichtlebige Viveur-Selbstsucht speiste, an diesem landesverräterischen Feldzug hervorragenden Anteil. Jeder, der ihn persönlich kannte und der
Weitere Kostenlose Bücher