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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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mit der Lorgnette, sein Drehen und Wenden eines langen Bleistiftes. Beim Reden drehte er auch manchmal die Daumen ineinander, seine Stimm« klang trocken und eintönig, seine Zunge löste sich nicht zur üblichen seichten Beredsamkeit, selbst sein unruhiges Vor- und Rückwärtstreten verriet, wie schwer er mit der Fülle seiner Gedanken rang. Doch wer aufmerksam zuhörte, ob der Gewaltige da oben auch zögerte, stockte, stammelte, sich versprach, der war betroffen von der kernigen saftigen Aussprache tiefer gesunder Urteile, dem Reichtum packender Gleichnisse, die eine dichterisch-bildnerische Plastik boten. Ähnlich wie der Korse sah er immer das Ding an sich, die innerste Natur eines Dinges, das begriff selbst der Widerstrebendste. Und wenn er vom »deutschen Volke« sprach, hatte seine einfache schmucklose Rede eine stille Wärme, der sich niemand in der Kammer entzog. Dieser schlechte Redner elektrisierte oft die ganze Versammlung zu rauschendem einstimmigem Beifallruf.
    Wer ihn am inneren Ausbau so emsig wirken sah, bedachte kaum, daß die Last des Auswärtigen auf seinen Schultern ruhte. Die Abrechnung mit Frankreich verschieben blieb seine Hauptsorge. Ende März hatte man einen hohen Gast, Prinz Jerome Napoleon, der schon wieder mal festes Zusammengehen mit Frankreich aufs Tapet brachte, diesmal wegen Wirren in der Türkei. Otto war die Verbindlichkeit selbst, ließ aber sofort durchblicken, daß er passives Zuschauen vorziehe, wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen. Preußen habe dort keinerlei Interessen. Dem Militärattaché Colonel de Stoffel empfahl er zutraulich, die Berichte des Generals Moltke zu studieren, der einst in Militärmission die Türkei bereiste. »Dieser Essai, in klassischem Stile geschrieben, verdient Übersetzung ins Französische.« Innig erkundigte er sich, ob die herrliche Cäsarbiographie, deren Anfänge schon um sieben Jahre zurückgingen, vom fränkischen Cäsar vollendet sei, der einem Tribunal von Gelehrten mit gleicher Würde vorstand wie dem europäischen Areopag. Aber von Bündnis keine Spur.
    »Er will uns mit Rußland brouillieren«, lachte er sich vor Keudell aus. »Dieser vielschlaue Ulysses, dieser erfinderische Macher! Ich will mir den Zaren warm halten, solange es irgend geht. Armer Louis! Bei jeder Gelegenheit läßt er durch Benedetti beteuern: Tu was du willst mit Deutschland, ich halte still. Er will sich nicht schlagen, ich auch nicht, wenn ich nicht muß. Doch seine Senatoren und Deputierten erheben ja ein nie endendes Geheul, bei dem man nicht unterscheidet, ob es von Tigern oder Schakalen stammt.«
    »Die so gemäßigte Nationalzeitung sagte neulich, daß nur Deutsche so freche Provokationen ertragen, nur Franzosen eine solche prahlerisch beleidigende Sprache führen könnten. Diese Presse zeige, daß die Gallier noch nicht zivilisiert seien.«
    »Das trifft zu, falls man äußere Zivilisierung von höherer Kultur trennt. Ihr Charakter ändert sich nie. Endlich erlebe ich, daß die Deutschen von ihrer elenden Affenliebe für dies kokette Schlangengewürm geheilt sind. Doch nächstens fangen sie wieder an, und wenn sie die Schlange unter den Fuß treten, zertreten sie ihr nicht den Kopf, sondern singen wehmutvoll: Wenn ich dich liebe, was geht's dich an!«
    Trotz seiner Abgeschlossenheit empfing er im Juni einen französischen Journalisten, der ihn geistreich über den Widerspruch interpellierte, er wolle Deutschlands Verfassung auf allgemeines Stimmrecht gründen, dagegen die preußische Kammer selbstherrlich regieren. »Man hält Ihr geplantes Nationalparlament in Paris für eine bloße Kriegsmaschine, die Sie zerbrechen würden, nachdem Sie sich ihrer bedienten.«
    »Ah, Sie gehen der Sache auf den Grund. Bei Ihnen erfreue ich mich der gleichen Unpopularität wie daheim. Ich bin der Sündenbock der öffentlichen Meinung, doch verfolge mit ruhigem Gewissen mein Ziel. Man macht mich allein verantwortlich, und doch habe ich die mir auferlegte politische Situation nicht geschaffen, sondern mich ihr anbequemt.«
    »Wie darf ich das verstehen?«
    »In Frankreich wird der gesellschaftliche Körper von gleichem Gefühle belebt, in Deutschland und besonders in Preußen herrscht die Individualität, die alles persönlich beurteilt, nie sich der Masse unterordnet. Der Deutsche hat das Bedürfnis der Kritik und Opposition. Man zeigt ihm eine offene Tür, die verschmäht er und bricht ein Loch in die Mauer. Eine Regierung stelle an, was sie will,

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