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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Händen trugen und obendrein oft alte Vorderlader erhielten, sich durchschnittlich besser schlugen als die weiland Troupiers. Die neugeschaffene Milizartillerie schoß viel sicherer als die kaiserliche und übertraf selbst die ausnahmsweise hingebende von Sedan an Opfermut, an den Kalköfen von Champigny häufte sie eine Hekatombe der Todesverachtung. Die Niederlage der besten kaiserlichen Elitetruppen bei Wörth fiel zehnmal ärger aus als die der Loirearmee bei Loigny, heldenmütiger stritten Franzosen nie als bei den Sturmläufen der Milizen auf Beaune la Rolande, selbst Bourbakis verhungerte, verfrorene Jüngelchen fochten manchmal mit edelm Elan, die Pariser Nationalgarden gaben noch beim letzten Ausfall ein schönes Beispiel. Es ist auch unwahr, daß Faidherbes Nordarmee ein festeres Gefüge zeigte, weil mit einigen »alten« Offizieren und Truppen gemischt, die aus Metz entwischten. Gerade das erste dortige Volksaufgebot bei Amiens schlug sich am zähesten und Chanzys Volksheere viel schwungvoller. In deutscher Militärhistorie hat man die Dinge stets danach zugestutzt, die Überlegenheit des Drillsoldaten über Volksaufgebote übermäßig aufzublasen. Aber damals an Ort und Stelle unter unmittelbarem Eindruck sah man die Lage wesentlich anders und empfand auch die historische Aufgabe des Zivildiktators Gambetta und seines Adjunkten Ingenieur Freycinet, Frankreichs Ehre hochzuhalten. Auch der bitterste Widersacher der Gallier, der über die Fabeln von ihrer Ritterlichkeit Lachkrämpfe bekommt und ihre verlogene Prahlsucht verachtet, muß ihre hohen kriegerischen Eigenschaften anerkennen. Das Empire Napoleons des Kleinen ging mit Unehre, Frankreich aber mit Ehren unter.
    Solche Erwägungen entgingen dem Kanzler nicht, der mit klar umfassendem Blick des Genies alle Ereignisse beobachtete. Seine tiefe Geringschätzung der Franzosen und seine begeisterte Hochstellung deutschen Wesens hielten ihn nicht ab, ihn allein, ein gewisses geheimes Mitgefühl bei dieser Tragödie zu empfinden, wo die Weltgeschichte als Weltgericht über ein nicht sittlich entnervtes, wie deutscherseits es ausgelegt wurde, wohl aber von Selbstsucht und Eitelkeit verzehrtes Volk hereinbrach. Seltsamerweise begriffen die schlauen Welschen dies bald, obwohl in Versailles sich auch manche Gelegenheit bot, das Überwiegen des Privategoismus zu studieren. Der Vater des begabten Malers Regnault kroch als Direktor der berühmten Porzellanfabrik von Sèvres vor den deutschen Behörden und erwiderte auf eine Vorstellung Bleibtreus, er solle eine Notabelnliste zu einer Petition für einen anscheinend grundlos arretierten Bürger unterzeichnen: »Nein, das könnte mir schaden.« Sein Sohn fiel nachher als Held an der Parkmauer von Buzenval, obwohl sonst ein wenig tadelfreier Herr. Da hat man den Franzosen, als Privatmann kalter Selbstling, als Patriot sehr brav. Fern sei es der deutschen Gerechtigkeit, die nach dem Kriege leider mehrfach in chauvinistische Überhebung umschlug und dabei doch wiederum die verruchte alte Welschgängerei in albernem Massenimport französischer Theatermache betätigte, einzelne Lichtblicke im gallischen Charakter übersehen zu wollen. Denn manches, was die Franzosenhasser als französisch verfemen, ist leider allgemein menschlich und im eigenen Busen wiederzufinden. Dem höheren Kulturfranzosen fehlt keineswegs eine gewisse korrekte Anständigkeit der Gesinnung, er vergißt selten einen geleisteten Dienst und zeigt die hohe Tugend der Dankbarkeit. Der Arzt Sadoul von Wörth, ein geborener Pariser, sandte jahraus jahrein einen Neujahrsbrief an Bleibtreu, weil dieser ihn vor Ungebühr durch einen hochgeborenen Johanniter rettete. Der Direktor des Versailler Museums, Schwiegervater von Sardou, setzte einen schriftlichen Dank im Namen Frankreichs auf, weil der Künstler auf Anregung des Kronprinzen das französische Nationaleigentum schirmte, obwohl hochgestellte Personen unter Vorwand eines Atelierbesuches recht gerne »Andenken« mitgenommen hätten. Auch dieser brave Franzose verlor seinen Sohn als Offizier, doch auf Bleibtreus Trostworte ging sein Schluchzen » O mon fils! « sofort in dramatisches Stöhnen: » Ce n'est rien, mais la France, la France! « über, und man weiß beim Franzosen nie, wo das Gefühl aufhört und die Pose anfängt. Und wie dankten die Eigentümer der besetzten Landesteile mehrfach für so rücksichtsvolle Behandlung? Indem sie die Welt mit Mythen überschwemmten, jeder deutsche Offizier habe eine

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