Bismarck 02
Bleiben Sie zur Tafel!« Er vermied jedoch jedes politische Gespräch, sah gedrückt und körperlich abgespannt aus. Der Ärger nagte an ihm, daß all sein Entgegenkommen die Liberalen nur dreister mache, und die Erkenntnis, daß mit solcher Parlamentsmajorität nicht zu regieren sei. Die ganze Lage eine Mißgeburt, erzeugt von Kammer und Ministerium mit der weiblichen Nebenregierung! Seine strenge Rechtlichkeit lag mit dem Zorn im Streit, daß seine Verfassungstreue ihm von rechts und links gleich übel gelohnt werde. »Ihre Kreuzzeitung«, brach er zuletzt los, »werde ich nie mehr lesen. Das nennt sich königstreu! Überhaupt die Reaktionäre sind so schlimm wie die Revolutionäre.«
»Ich mißbillige schon lange die Haltung dieses Parteiorgans und stehe ihm viel ferner als z. B. mein Freund Roon.«
»Freut mich sehr. Ich habe verboten, das saubere Blatt in irgendeinem königlichen Schlosse zu halten.«
»Die auswärtige Politik darin ist mir besonders zuwider. Daraus entstehen solche Albernheiten wie die Sammlung im Herrenhaus zu einem silbernen Ehrenschild für den König beider Sizilien.«
»Den dieser Garibaldi vertrieben hat. Sie werden nicht leugnen, daß dies jedes konservative Gefühl empört.«
»Mich ficht das nicht an. In keinem Blutstropfen fühle ich Verpflichtung, einem fremden Monarchen zu dienen. Meinen eigenen bis in die Vendée. Es war vielleicht taktlos, daß Vincke einen Zusatz zur Kammeradresse an Euer Majestät durchsetzte, worin Sympathie mit Italiens Einheitsbestrebungen ausgedrückt wurde. Aber die Liberalen priesen es als staatsmännisch nicht ohne Grund, weil die Analogie mit Deutschland auf der Hand liegt.«
Der König seufzte. »Schleinitz nennt Sie einen Idealisten. Indessen – Adieu, auf Wiedersehen am Pregel!»
Zur Krönung nach Königsberg befohlen, freute er sich über die Festigkeit, mit der König Wilhelm sich selber die Krone aufs Haupt setzte, um sein Gottesgnadenrecht zu betonen, bei damaligen Umständen nicht nur ein praktisch nötiger, sondern auch ein mutiger Akt. Die Thronrede schlug schon kräftige Töne an. Es sei nicht Preußens Bestimmung, dem Genuß erworbener Güter zu leben, in Anspannung seiner geistigen und sittlichen Kräfte, in der Vereinung von Gehorsam und Freiheit liege die Bedingung seiner Macht. »Meine Pflichten für Preußen fallen mit denen für Deutschland zusammen.« Ein vieldeutiges Wort, mit dem sich etwas machen ließ. Otto wußte, daß der Monarch selber solche Reden und Schriftstücke verfaßte, ein Meister mündlicher Ansprachen und voll Kraft und Schwung des Stils mit der Feder, mochten auch kleine Inkorrektheiten im Sprachlichen mit unterlaufen. Dieser außerordentliche Herrscher hatte immer etwas Herzbezwingendes und Begeisterndes, wenn er zugleich als König und Mensch sprach. Er war nun schon ein Greis von vierundsechzig Jahren, doch in seiner männlich aufrechten Haltung spürte man davon so wenig wie in seinem klaren, durchdringenden Verstand. Eher könnte man sagen, daß seine ritterliche Ergebenheit an seine Gemahlin eine gewisse Bequemlichkeit und seine Nachsicht eine gewisse Milde des Alters verrieten, wenn er nicht in allen anderen Punkten die straffeste Tätigkeit und die mutigste Entschlossenheit gezeigt hätte. Die zweifellos seltenen Geistesgaben der Königin schätzend, überhaupt wie jeder männliche Mann dem Zauber weiblicher Klugheit zugetan, hatte die Gattin für ihn den doppelten Nimbus der Frau und gekrönten Königin. Wie wenig er aber ihr blindlings sich unterwarf, bewies sein unvermindertes Wohlwollen für den Schönhauser, den er ja auch nun manches Jährchen kannte. Zeit zum Aussprechen war hier nicht, auch kein Anlaß dazu, aber die Ernennung zur Exzellenz ließ erkennen, daß Otto keineswegs außer Gnade sei. In Frankfurt hatte er die Bundesexzellenz gehabt, weil jeder Gesandte laut Bundestagsbeschluß sich so betitelte, in Rußland hieß er so als selbstverständlich nach russischem Brauch, jetzt durfte er sich als wirkliche Exzellenz in Preußen sehen lassen.
Im Gedränge der herumstolzierenden Würdenträger stand einen Augenblick neben ihm ein zwerghafter Gnom in Frack ohne Orden mit einem breitgewölbten Kahlkopf. Auf seine Frage, wer das sei, erhielt er die gleichgültige Aufklärung: Maler Menzel, der ein Zeremonienbild der Feier anfertigen solle. Otto kannte die Zeichnungen aus dem Zeitalter des Alten Fritz, an denen er sich erbaute, doch für einen völligen Laien wie ihn bestand natürlich
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