Bismarck 02
ein sehr taktfester Pichler war, dauerte bis zwei Uhr, und Bacchus regierte die späte Stunde so unumschränkt, daß die anderen Herren mit einiger Mühe in ihre Droschken gelangten. Die Exzellenz bot aber den schlauesten Umgarnungen des Weingottes so gelassen die Stirn, daß er zu Hause noch den Prinzen Croy aus dem Bette klopfte: »Holstein ist heut ... auf Urlaub. Ich muß notwendig noch zwei Depeschen diktieren.«
Doch umsonst hatte er Immediatberichte oder eigenhändige Briefe Monat für Monat nach Berlin regnen lassen, die dortige Dürre zu befruchten. Der einzige Erfolg, der nicht ausblieb, bestand in Rückfällen seiner Krankheitszustände durch Überarbeitung. Er hätte sich selber sagen können, daß Schleinitz solche ihm unangenehmen Darlegungen gar nicht zum Herrscher durchließ. Dagegen erschien plötzlich der frühere Militärbevollmächtigte Graf Münster in Petersburg als eine Art Inspizient und Kontrolleur, ob nicht der Gesandte Unrichtiges über die Mißstimmungen des Zaren, weil Preußen hartnäckig an Österreich festhielt, berichtet habe. Otto kochte vor Zorn über diesen Unglimpf, stellte aber trocken fest: »Ich habe die eigenen Marginalnoten Seiner Majestät am Rande diplomatischer Aktenstücke gesehen und fuße auch auf mündlichen Informationen meiner Freunde am Hofe.«
»Wer kann denn kaiserliche Marginalien gezeigt haben!«
»Fürst Gortschakow. Vielleicht war die Indiskretion berechnet. Was die mündlichen Vertraulichkeiten betrifft, so weiß ich hierdurch auch, daß man verschiedene unserer Chiffren hat. Ebenso wollen Sie gefälligst verbreiten und die Warnung bei deutschen Höfen zirkulieren lassen, daß das Schimpfen auf die russische Politik in Privatbriefen an hiesige fürstliche oder hochgestellte Personen regelmäßig zur Kenntnis des Zaren gelangt. Seine Majestät hat mir dies selber gesteckt mit dem Bemerken, das sei absichtliche Beleidigung, weil man doch wisse, daß er nach monarchischem Recht die Briefe aus Deutschland lese.«
Graf Münster sah ein, daß man einem Manne, mit dem der Zar so intim stand, wohl schwerlich ungenaue Berichterstattung nachweisen könne. Außerdem verblich Schleinitz' Herrlichkeit schon sehr. In Berlin zankte die Kammer mit der Regierung wegen der sogenannten Erbhuldigung, die mit der Verfassung nicht vereinbar wäre. Roon drohte, als Kriegsminister sofort zu gehen, wenn der König nachgebe und forderte seinen Freund in Petersburg auf, persönlich zu Hilfe zu kommen. Schleinitz sei so gut wie gestürzt, der König wolle jedoch Otto nicht dies, sondern Schwerins Portefeuille übertragen. Der Geplagte an der Newa hatte sich auf Reinfeld und Ferienfrieden gefreut, und Schwerins Erbschaft anzutreten, lockte ihn nicht. Alle diese Lappalien! Die ganze Schwäche im Innern, das erneute Überwuchern des Parlamentarismus, stammte aus der einen Quelle: der Schwäche nach außen. Werden wir dort geachtet und haben Erfolge, läßt sich selbst die neue Fortschrittspartei viel gefallen. Sonst werden wir alle über Formalitäten den Hals brechen.
Seufzend reiste er sofort ab, fand aber, als er am 9. Juli deutschen Boden betrat, die Krise schon erledigt. Roon, der im Kanton Schwyz seine Ferien verlebte, blieb im Dienst, weil er der Armee nützen wolle, Graf Bernstorff figurierte an Stelle von Schleinitz. Roon schrieb jedoch ganz verzweifelt, daß der König matt und hinfällig, die Parlamentsregierung sicher und keine Rettung möglich sei. Die Kreuzzeitung habe es für immer mit dem König verdorben, weil sie seinen Verzicht auf die sonstige Huldigung und dafür Einsetzen einer Krönungszeremonie in Königsberg schonungslos kritisierte.
In Berlin fand Otto nichts als Schwätzerei über Nichtigkeiten: Ob der Obertribunalrat Waldeck seine neue Partei zusammenbringen und ob Edwin Manteuffel die verhängte Festungshaft wegen Duell mit dem Abgeordneten Twesten wirklich absitzen werde. Letzterer hatte eine superkluge Broschüre verfertigt: »Was uns noch retten kann.« Otto lachte bitter: Das weiß solch ein Stubenhocker genau! Was uns retten kann, wüßte ich schon, aber auch jetzt ist's noch nicht Zeit. In Baden stieß er beim König auf eine unfreundliche Stimmung, wie er ihr noch nie begegnete. Unangenehme Überraschung sprach aus der Frage: »Sie wieder hier? Sie kommen wohl wegen dem Ministerwechsel?«
»Nur wegen Bitte um Urlaubsverlängerung, um der Krönung Euer Majestät beiwohnen zu dürfen.«
Die Miene des Königs klärte sich auf. »Gern gewährt.
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