Bismarck 02
ein Landmann von mäßiger politischer Bildung, dem mit der bureaukratischen Pedanterie auch die bureaukratische Routine fehlte, dessen Kenntnisse sich nicht über das erhoben, was Gemeingut aller Gebildeten ist. Den Höhepunkt seines parlamentarischen Ruhmes erreichte er im Unionsparlament von 1850. Doch welche seiner Reden hätte einen Hauch aufzuweisen von der didaktischen Schärfe eines Stahl, vom Feuereifer Kleist-Retzows, vom Reichtum an geistreichen Einfallen eines Gerlach, von der doktrinären Gründlichkeit Wageners! Er trat schroff und rücksichtslos auf, nonchalant bis zur Frivolität, mitunter witzig bis zur Derbheit; doch wann hätte er je einen politischen Gedanken geäußert! Er hat sich in Frankfurt Kenntnis in den diplomatischen Zeremonien erworben und in Petersburg und Paris intrigierenden Prinzessinnen ihre Geheimnisse abgelauscht. Aber die saure Arbeit der täglichen Verwaltungsgeschäfte ist ihm fremd, den klaren Einblick in das Getriebe des Staates in allen seinen Einzelheiten hat er sich nirgendwo erwerben können. Ihm gegenüber wird sich das Wort des Herrn v. Schleinitz bewähren, daß ›die Politik eine sehr positive Kunst ist‹.«
Otto biß sich zornig auf den Schnurrbart. Die Schmierfinken! Nun, mögen sie ihren Willen haben. Ich aber will jetzt Gewißheit oder nehme Knall und Fall meinen Abschied.
Von Orlows trennte er sich schon vor Avignon, jetzt löste er sofort ein Billett nach Paris und dampfte ab. Als er in der Gesandtschaft abstieg, trat der Concierge heran, lüftete die Mütze und überreichte ein Telegramm: »Soeben für Exzellenz angekommen.«
Es war in französischer Sprache: »Periculum in mora, Depéchêz-vous! L'oncle de Maurice Hennig« Es war so mit Roon verabredet. Ging die Depesche nun von ihm selber aus oder geschah es unter Mitwissen des Königs? Gleichviel. »Meine Koffer wieder zur Bahn bringen, Schnellzug nach Berlin!«
Der Zug ratterte unerträglich und stieß ihn hin und her. Die Waggonzwischenketten rasselten unaufhörlich. Die Nacht war schwül. Fern grollte ein leiser Donner, ein fahler Blitz beleuchtete die Stirn des einsamen Reisenden, auf der es blitzte und wetterte. Schweigend steckte er eine Zigarre nach der anderen an, schlaflos durchwachte er die Schicksalsnacht. Ging nicht ein Ruck durch die deutsche Erde, als er bei Köln über den Rhein rollte? Ahnte sie nicht ein Erdbeben? Der Fürst de Ligne schrieb einst: »Ich glaube nicht an Erdbeben bei Christi und Cäsars Tode, denn beim Tode des größten Menschen, Friedrichs des Großen, hat sie nicht gebebt.« Hier starb auch einer, der Lernende, der Unbehauste, dem die Fülle der Gesichte noch keine Tat gegönnt, und ein anderer sprang ins Leben mit Siebenmeilenstiefeln. Die Erde vernahm nicht den Tritt, den ersten Schritt eines Erderschütterers. Doch das Schicksal Europas war entschieden.
Unterwegs in Jüterbogk stieg ein Dichtvermummter zu ihm in sein Abteil, der Stationschef salutierte mit Hand an der Mütze. »Ach, Roon, Sie sind's?« Das Frühlicht des 20. Septembers glomm am Horizont.
»Ich fuhr Ihnen entgegen, um Sie vom Stand der Schlacht zu unterrichten. Seit vorgestern rast die Debatte in der Kammer, sie will das Budget rundweg verwerfen. Majestät haben lange und schwer überlegt, es kostete Mühe, ihn zu bewegen, denn es ist ein großer Entschluß. Sowie Ihr Name auftauchte, erhob sich von allen Seiten ein Zetergeschrei. ›Bismarck, das ist der Staatsstreich‹, denunzierten die Fortschrittsblätter. Und was man am Hofe sagt, können Sie sich denken.«
»Ich würdige die Seelengröße des Königs. Es soll ihn nicht gereuen. Ich schöpfe daraus die freudige Gewißheit, daß er zum Kampf entschlossen ist?«
»Ja, doch auch jetzt erwachten ihm ernste Bedenken, welche Bedingungen Sie stellen, welches Programm Sie fordern würden?«
»Keine und keins. Mein Lehnsherr und oberster Kriegsherr ruft zum Appell, und ich antworte: Hier!«
Roon schüttelte ihm die Hand. »Sie stellen sich einfach zur Verfügung?«
»Ganz einfach. Die Krone ist in Gefahr und damit Preußen und damit Deutschland. Das müßte ja ein Hundsfott sein, wer sich da lange sperrte. Man wählt mich, um die Militärvorlage durchzubringen, nachher mag ich abtreten. Gut, ich werde die Order vollziehen.«
»Schwer werden Sie es ja haben. Die Fortschrittler rempeln alles an, kontrahieren Skandale, wo sie können, wissen sich vor Übermut nicht zu lassen. Die richtigen Jakobiner, der ›Berg‹ des Konvents! Die zersprengten
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