Bismarck 03
schrecklicher Ahnung ergriffen«. Bezieht sich dies auf Klucks amüsanten Ausflug nach Amiens, so würden wir gewiß damit einig gehen, auch mag Moltkes bestimmter Befehl zum Verbleiben »zwischen Oise und Marne« darauf hindeuten. Dagegen liegt nicht das kleinste Anzeichen vor, daß Moltke während der Marneschlacht sich irgendwelcher Besorgnis um Kluck hingab, obschon ihn dieser absichtlich ohne jede Aufklärung ließ. Zweimal depeschierte er am 10. vormittags und später, Kluck solle mit aller Kraft eingreifen. Kluck ließ sich nicht herab zu antworten: »Ihr Vertreter Hentsch hat ja Rückzug hinter meinem Rücken angeordnet«, klareres Symptom schlechten Gewissens gibt es nicht. Und die militärisch unglaubliche Behauptung, dies sei ohne Klucks Genehmigung geschehen, taucht ja erst in Klucks wertlosem Buche auf, der sich auch nicht scheute, seinen »hochgeschätzten Gegner« French durch einen Interviewer verbindlich grüßen zu lassen und von der durch seine Schuld entschlüpften englischen Armee mit besonderer Hochachtung zu reden! Die einzige Gegenmitteilung, die Moltke empfing, war am 11. die angenehme Anzeige: »1. A. geht über die Aisne zurück.« –
Eine Napoleonshand hätte durch die beiden Atouts Revigny–Loupy und Connantre–Salon jede Spielchance des Feindes abgestochen, doch die Deutschen hatten eben keine »Veine«, das Spiel um so hohen Einsatz ging verloren, weil die Bank keine »Reserven« hatte, oder vielmehr der wirkliche Bankhalter Bülow dies vorgab. »Reserven hatte er nicht mehr zu erwarten« (Baumgarten). Wirklich? Es unterliegt keinem Zweifel, daß am 12. und 13. längs der Marne alle fehlenden Teile der 2. und links der 3. A. bei Chalons eintrafen, also die Schlacht in Linie Chalons–Dormans sofort wieder aufgenommen werden konnte. »Das Wunder der Marne« war allerdings ein Mirakel kopfloser Verworrenheit, doch für Joffre nur das, was man in der Theatersprache einen »äußeren Erfolg« nennt. Es ergab nur Einschmieden der Deutschen in unzerreißbare Stellungen, wo er sich nachher den Schädel einrannte. Daß er den Feind sich nachlockte, um ihn unter günstigen Bedingungen zu fassen, ist kindliche Legende. Erwartete man nicht früher so viel vom Reimser System (9 Hauptforts wie bei Verdun), unter dessen Schutz man eine stärkere Stellung gehabt hätte, links fortgesetzt vom Marnebogen mit so verteidigungsfähigem hohem Südufer, rechts von den Argonnen? Wer ein Zentraldepot mit mächtigen Vorräten (auch für Aviatik) aufgibt, gibt die Partie auf. Darin, daß Joffre sich bis 5. kampfunfähig fühlte, liegt psychologische Berechtigung des rastlosen Vormarsches, durch den Moltke den Feind mit einem letzten Schubs über die Seine bis aufs Plateau von Nevers zu werfen und dann die Zange der 8. und 7. A. über Nancy und St. Dié anzusetzen hoffte. Denn seine Direktive bekennt unumwunden, daß er sich mit so vielverheißenden Gedanken trug. Nun, das stand ihm gut an, wenn die Voraussetzungen stimmten, obschon wir theoretisch die Anwendungen doppelseitiger Umfassung im größten Stil als einen Irrtum der Moltkeschule verwerfen. Daß man die Demoralisierung der Franzosen überschätzte, war ein Rechenfehler in Nationalpsychologie. Ein Feldherr oder Staatsmann müßte stets ein erfahrener Historiker sein, der seine Pappenheimer kennt. So widersprach Wilhelm I., durch Jugenderfahrung belehrt, als man nach Sedan den Krieg für beendet hielt. (Die Rasse ändert sich nie, das bewies auch nachher Amerikas erstaunlich rasche Kriegsorganisierung, die selbst wir bezweifelten, obschon wir die Erfahrungen der Sezessionskriege gründlich kannten). Deshalb hätte man jede Möglichkeit vermeiden sollen, daß der auf Zero gesunkene Thermometer des gallischen Temperaments durch irgendwelchen Scheinerfolg in die Höhe schnellte. Man zwang Joffre dazu, das Waffenglück nochmals zu versuchen, mit der Parole »Rettung von Paris«. Um so weniger durfte man sich darauf einlassen, in unvereinter Überhastung den jetzt Vollvereinten anzurennen. Den Berliner Generalstab verließ seine gepriesene Methodik. Aus vernünftiger Prüfung der Marschtableaus ließ sich folgern, daß nichts klappen würde. Daß großartige Truppenleistung alles ausgleichen werde, mit solchen Chancen spielt kein Feldherr. Bloße Konjunktur verkennt notwendig eintretende Reibungen, was Napoleon stets im Anschlag brachte, mehr als feindliche Gegenzüge. (Bernadotte bei Jena und Eylau, Brückenriß bei Aspern usw.). Einzelheere lassen sich
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