Bismarck 03
ließ. Er wußte, daß auf Einems und Hülsens Gros nicht in absehbarer Zeit zu rechnen sei, ihn trifft die Schuld, daß er den leicht zu überschauenden Stand der Dinge Moltke verheimlichte. Wir wollen ihm sogar die höhere Einsicht zusprechen, daß er früh erkannte, der Feind biete große Feldschlacht an, während andere sich im Wahn wiegten, er liefere nur Rückzugsgefecht. Für solche landet man nicht frische Massen bei Brienne und Troyes. Der deutsche Stoßflügel kam so in Rückstand im Nordwesten, daß man, die deutsche Linke verschiebend, fast mit verkehrter Front schlug; da konnte Ungewißheit über die wahre Lage der 1. A. wohl bedenklich stimmen. Doch nicht ungewiß war der glänzende Erfolg der Linken Bülows und der Rechten Hausens an entscheidender Stelle. Daß er angesichts dieser Tatsache schon am 9. nachm. Rückzug beschloß, dafür gibt es keine Entschuldigung, denn diese Negation lauerte bei ihm stets im Hintergrund, er atmete seit Schlachtbeginn weinerlich verdrossenen Mißmut aus persönlicher Kränkung, daß man Kluck von ihm freimachte und deshalb das geplante »Sedan« bei St. Quentin in Luft zerging. Indem der Ärger über Kluck an ihm nagte, den er sozusagen zu allem fähig hielt; geschah's, daß man ihn über die Lage am Ourcq täuschte. Jeder Optimismus wäre vorteilhafter gewesen, als Klucks Getue, als ob er in Gefahr schwebe. Hier redete Kluck dem Bülow und Bülow dem Kluck vor, es gehe ihm schlecht, denn das wahre Führermerkmal gebrach ihnen, sich veränderten Umständen anzupassen. Als bei Sharpsburg alle Unterführer Lee bestürmten, sofort bei Nacht abzurücken, hörte der hohe Mann schweigend zu und brach kühl ab: »Sie können auf ihren Posten zurückkehren, wir gehen nicht über den Potomac.« Als alle Marschälle bei Eylau abziehen wollten, blieb Napoleon stehen, weil er eigenen Rückzug der Russen voraussah. Dort handelte es sich um ziemlich ungünstige Kämpfe, hier aber stand Bülow groß da, seine Siegespreisgabe befand sich in vollem Widerspruch zu Hausen, der sich Sieger fühlte. Bei Wagram fertigte Napoleon den Boten Massenas, die Schlacht sei verloren, kühl ab: die Schlacht sei gewonnen, weil die Niederlage seiner Linken nicht den wichtigeren Erfolg seiner Rechten aufwog; ähnlich bei Bautzen. Bülow aber mißachtete den vollkommenen Sieg seiner Linken wegen kleinlich pedantischer Sorge um seine Rechte, deren Zurückbiegung gar nichts schaden konnte, bei nur einigermaßen anständiger Haltung, angesichts tödlicher Verwundung der französischen Mitte. Er ließ alles fahren, zwang auf eigene Hand seine trübselige Ansicht Hausen auf, bestimmte Kluck zu gleicher Schwäche, und retirierte dann weiter als irgend nötig war. Ein verdienter Heerführer mag seine schwarzen Stunden haben, doch dies ist militärische Todsünde wider den Heiligen Geist des Krieges, gegen den von Napoleon so hoch geschätzten moralischen Faktor. Hätte er sich wenigstens seither zu seiner Schuld bekannt, so könnte man Nachsicht üben. Doch Veröffentlichung seines »Berichts« von Dezember 1914 zeigt ihn verstockt in seinen Sünden, nach dem Satze: Qui s'excuse, s'accuse . Die Lanze, die wir zu seiner Verteidigung brechen wollten, werfen wir zersplittert aus der Hand. Nein, ebensowenig, wie er der Alleinschuldige nach Meinung Unberufener ebensowenig Kluck allein, wie wir früher glaubten. Beide waren einander würdig.
Bülow hatte es eilig, jedermann die Siegesfreude zu vergällen, daher sein heimtückischer Rückzugsbefehl an Kirchbach, ohne Hausens Einwilligung einzuholen. Nach allen Seiten verbreitete er unheilschwangere Gespensterseherei. »Rückzug 1. A. operativ und taktisch erzwungen«, drahtete er an Moltke. Woher wußte er denn das? Und warum griff er Klucks Aussage vor? »Ohne Nachricht von 1. A.«, gewiß ein netter Dienstbetrieb Kluck, der auch Moltke ganz im Unklaren ließ, seit 5. nicht mal Zeit fand, die O. H. L. auf dem Laufenden zu erhalten. Er trieb Privatstrategie in ungesunder Selbstgier, eigenen Erfolg zu ernten. Unter allen Bemerkungen Bülows, so oft er sich an Kluck reibt, hat wenigstens die eine Hand und Fuß: » Wenn tatsächlich 1. A. so starke Kräfte gegen sich hatte, daß 2., 4. und 4. R. K. nicht allein mit diesem fertig werden konnten«, so hätte sich Kluck einfach näher an Bülow heranziehen sollen. Dann hatte er zwar »auf Möglichkeit eines taktischen Erfolges verzichtet«, wäre aber »seiner Hauptaufgabe treu geblieben«. Schutz der Hauptflanke, wie
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