Bismarck 03
strategische Bedeutung der Joffreschen Maßregeln ein, und man erkannte es auch so ursprünglich: erst nachher fielen den Interpreten »Ideen« ein. Zum Schlachtverlauf zwang nicht eigene Geistesarbeit, sondern Verbeißen deutscher Vorhuten, deren südöstlich gerichtete Front unvermutet an einer Stelle (Montmirail) nordwestlich einknickte. Hier »dämmert« vorlautes Geschwätz, das vor Erstaunen den Atem stocken macht. Kotau vor Moltke d. Ältercn und Schlieffen empfiehlt beim Generalstab. Diese hätten auch bei Minderzahl Umfassung für den Stein der Weisen gehalten? O si tacuisses! Als ob Umfassungsmanöver je anders geglückt wären, als nur bei nicht nur numerischer oder qualitativer Übermacht (Hinterlader gegen Vorderlader bei Königgrätz), sondern vor allem bei Unbehilflichkeit des Gegners. Auch verwechseln nur Anfänger die heut verhimmelte Autorität von Clausewitz, der bei Lebzeiten seine Werke nicht veröffentlichen durfte, mit Unfehlbarkeit. Als Kriegshistoriker um so weniger ein Orakel, als seine Statistik von Stärken und Verlusten nur von Nachschreiberei ohne Quellenforschung zeugt. (Der so überaus kriegskundige Eugen von Württemberg urteilt herbe über Clausewitz' Unzuverlässigkeit als Historiker.) Seine Sprüche nachleiern, ist ganz verfehlt; so ist sein Diktat, Napoleons Zentrumstöße seien Legende, selbst nur Legende. Umgehungen, diese urälteste Taktik, als »modernes« System angestaunt, blamieren sich oft, so auch in der Marneschlacht. Denn aus solchen schwach aczentuierten Absichten der franz. 6. und 3. U. wurde bald ein Selberumfaßtwerden, während der deutsche Zentrumsstoß zwischen St. Prix und Vitry allein Durchschlagskraft besaß. Wir können Journalstrategen nur warnen, sich aufs Glatteis der Theorie zu wagen und aus gemeinplätzlichen Clausewitzzitaten eine Eselsbrücke darüber zu bauen. Witwe Clausewitz mußte die heut als Sybillenorakel geltenden Schriften aus dem Nachlaß hervorholen; darin sind ihm andere Fingerfertige über, denn bei Deutschen kommt das Bedeutende nie bei Lebzeiten zu Worte. Nicht in Schönfärberei, die sich der Masse einschmeichelt, schwelgt der Kriegsforscher, er unterzieht die Vorgänge scharfer Prüfung der Einzelheiten, deren Zusammenfügung dann erst Urteilsuntersuchung gestattet. Geradheit gegen Freund und Feind machte nicht beliebt, diplomatische Zurückhaltung macht sich vornehmer. Man spendet Joffre unverdiente Anerkennung, hütet sich aber, der deutschen Führung ein scharfes Wort zu sagen. Die O. H. L. bezweckte auch hier, durch harmonisches Zusammenfließen aller Heere Joffre einzukeilen; die geplante Konzentrik kam aber nicht heraus, gemäß Napoleons Verwerfen all solcher weitschichtigen Operationen, »weil man sonst mehrere gute Generäle statt eines braucht.« Dem Takt des Teilführers bleibt da so viel überlassen.
Übrigens ist auch verbindliche Verbeugung vor militärischem Vorurteilen wegen Qualitätswert eines Kasernendrills, wie es schlaue Zivilschützen immer belieben, hier gar nicht am Platze. Die Franzosen hatten die längere dreijährige Dienstzeit, ihre vom Pflug und Werkstatt hergerufenen Reservisten schlugen sich aber teilweise besser, als die Aktivtruppen, besonders Sarrails Reservetruppen mit erstaunlicher Energie, und deutscherseits haben 4. und 8. R. K. und was vom 10. R. K. da war, sich so gut gehalten wie das beste Armeekorps. Erstaunlich war der allgemeine Artillerieverlust: rund 3300 (420 von 1., 650 von 2., 700 von 3., 350 von 4., 1200 von 5. A). Für den abnormen Verlust der Württembergischen gibt es keine andere Erklärung, als daß sie sich für die Hessen aufopfern mußte. Gerade die unverhältnismäßigen Opfer der Artillerie beweisen, daß sie mit besonderer Anteilnahme wirkte, um die Geringfügigkeit der Fußvolkmasse auszugleichen. »Reserven hatte Bülow nicht mehr zu erwarten«, schrieb Baumgarten naiv; oh ja, noch 6 unverwundete Brigaden. Doch er brauchte sie nicht; schon sauste der Hammerschlag auf Foch nieder. In diesem Augenblick brach Bülow ab und zwang seine Kollegen seinem Beispiel zu folgen, obschon seine Angstmeierei nur bei Kluck Gegenliebe fand. So wird mit dem Schicksal eines großen Volkes Schindluder gespielt, die mit kostbarem Blute getränkten Siegesgaben warf man wie verwelkten Müll in den Kehrichteimer und auf die Landstraße.
Wir halten Bülow zu gute, daß er von Anfang an den weiten Vormarsch nicht billigte, daß Moltkes Direktive, seinen Gedankengang verwirrend, ihn keine Wahl
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