Bismarck 03
Generäle übers Ziel hinaus, und wir bezeichnen es als skandalös, daß man deutscherseits gar noch diese kühle Wissenschaftlichkeit mit Anwürfen belohnte, denn alles was nicht blind vor Moltke und jeder preußischen Geschichtsfärberei Kotau machte, zieh man der Verleumdung. Die deutschen Historien der Befreiungskriege strotzen von Entstellungen, während Thiers keineswegs den Ruf eines bloßen Chauvinistenschwätzers verdient, den man ihm aufbürdete, und seine Stärke- und Verlustangaben viel beherzigenswerter sind, als die der Napoleonsgegner. (Wir haben dies nach Archivtableau toter und verwundeter Offiziere des Kaiserreichs von Martinian Punkt für Punkt festgestellt). In maßlosem Prahlen und Entstellen sind weit mehr Briten und Russen Meister. Man sollte die Kriegsgeschichtsschreiberei jeder Nation in Volapück nebeneinander drucken und darüber den vermittelnden Kommentar eines wahren Forschers, dann würde man sein Wunder erleben. Uns berührten die Kluck- und Bülowlegende viel empfindlicher, als die französische Übertreibung, denn wenn letztere nur in majorem Franciae gloriam arbeitete, so erstere ad usum Delfini zum Schaden deutschen Heeresruhms. Die Wahrheit wird oft unglaubhaft, wie jeder Geschichtsschreiber weiß. Wer stellte sich einen Hentsch vor, der als deus ex machina das Schicksal Deutschlands bestimmt, ohne jede schriftliche Vollmacht, – so etwas gibts einfach nicht beim Militär, – doch wahrscheinlich mit Berufung auf eine unverantwortliche Instanz, gegen die keine Widerrede gilt. Eine Armee, die solche »legitimen« Verhältnisse zuläßt, ist wurmstichig nach oben. Über Hentsch schloß sich das Grab, die Akten des Kriegsgerichts bekommt man nicht zu Gesicht, der Mann muß gegen den aufgebrachten Moltke hohe Deckung gehabt haben. Versicherte er vielleicht Bülow amtlich, Kluck sei geschlagen, was Bülow auf Treu und Glauben hinnehmen mußte, da er von Kluck so wenig wußte, wie die O. H. L. selber? Daß Kluck sich systematisch ausschwieg, gibt sehr zu denken. Divination, die sich auf nichts schriftliches oder gedrucktes bezieht, sondern allein auf die innere Logik, wird wie gewöhnlich Recht behalten. Auch in der nur von uns angeschnittenen so hochwichtigen Frage der Unvollzähligkeit und Nichtvereinung. Am 9. forderte Bülow von Hausen einen noch größeren Schlag als Fernwirkung für die Montmirailflanke, als ob hierdurch der nötige Rückhalt gewährt worden wäre. Mehr konnte Hausen für Bülow nicht tun, doch wozu der Lärm? Stand nicht alles sehr gut bei Garde und Emmich? Die Westdrehung der Garde und die Aufforderung an Hausen verraten aber offenbare Offensivtendenz. Wenn also am 9. abends nach besonders großem Tageserfolg plötzlich Rückzug für Bülow feststand, so muß solch nervöser Stimmungswechsel besondere Gründe gehabt haben, nicht nur Hentschs Einrede. Und siehe da, er meldete an Moltke, »infolge Verluste« (tolle Übertreibung) schätze er sich nur auf drei Korps. Das ist unfreiwilliges Geständnis, daß er eben seine vier K. nicht beieinander hatte, die Ausrede »infolge Verluste« verbrämt nur die Nichtanwesenheit von 23 Bataillonen Hülsens und Einems und wahrscheinlich 10 Emmichs. Vermutlich erfuhr er erst am 9., daß er auf Zufluß von Norden noch lange nicht rechnen könne.
Ähnlich würdigen wir Baumgartens verzweifelte Versuche, die Schwäche der 3. A. im Feuer mit ungeheurem Strapazenabgang zu erklären. Da bei keiner andern Armee gleiches vorfiel, so müßten die Sachsen ja wirklich schlapp geworden sein, welches Gerücht sie sich verbitten dürfen. Ein Monatsabgang von 20 Prozent durch Strapazen wäre erfahrungsgemäß schon anormal, hier aber müßte man bataillonsweise umgesunken sein, wenn von 83 000 Inf. nur 37 000 in die Marneschlacht eintraten. Da nun die Sachsen im September 28 500 verloren, so müßten von ihnen nur schmale Reste übriggeblieben sein, was um so lächerlicher, als sie im Oktober lustig fortkämpften. Die Behauptung, daß nur 27 000 Inf. fochten, ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, denn wer im Verlust auf 133 Off. des 19. K. nur 2584 Mann, dagegen auf 168 des 12. K. volle 4784 rechnet, der ist schreiend unzuverlässig in Zahlen. (Bei 168 Off. 12. K. sind unstreitig die von 104. fälschlich mit eingerechnet). Wohl aber nehmen wir gern das unfreiwillige Geständnis entgegen, daß sehr viele Bataillone bei den Gewaltmärschen zurückblieben, und erst am 14. in der neuen Stellung standen, also höchstens 40 bis 45 000
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