Bismarck 04
zusammenklappte, nicht zufallmäßig durch Glücksverschiebung, durch Feldschlacht den Feind in eine Festung pressend (Prag). Alle seine Schlachten gehen aufs Ganze, ob er sie gewinnt oder verliert. Und warum? Weil seine Taktik so angelegt, daß ihr Gelingen den größten Strategenanteil verbürgt. Die »Bataillen« des Bedrängten waren immer strategische Probleme. Ein solcher Titane, wie dies gichtgekrümmte Männchen, darf Fehler machen, weil Geniestolz den Bogen überspannt, doch die unerforschlichen Mächte geben ihm nachsichtig nur Gelegenheit, seinen Heldensinn in der Prüfung zu härten, und führen ihn zum Endsieg, weil er es verdient. Friedrich nach Kunersdorf, Ludendorff nach seiner ersten Niederlage, welch schreiender Gegensatz! Man sage nicht, daß er eben nicht unverantwortlicher König war, er war mehr, militärischer Vertrauensmann einer großen Nation. Von seiner Diktatur allein hing es ab, ob man die Flinte ins Korn werfen wolle. Er warf sie und rief: »Gott hat uns verlassen«. Gott verläßt nur den, der sich selbst verläßt!
XI. Allgemeiner Rückblick
Unerbittliche Logik der Kausalität waltet bei jedem Kriegsexamen. Wie begann der Weltkrieg? Da muß man sich mit Vater Joffre auseinandersetzen. Als ethischer Heerbeleber rechnete er zunächst mit dem psychologischen Moment, daß Einfall in die »geraubten Provinzen« den gallischen Elan in Freudentaumel versetzen und Glückwunschtelegramme aus London und Petersburg einkassieren werde. Dies unschuldige Vergnügen, einen Fetzen deutschen Gebiets abzureißen, verstrickte ihn aber sofort in strategische Zwangsvorstellung. Belgischer Siegesschwindel wollte ihn reizen, seine Offensive dorthin zu verlegen, bewirkte aber das Gegenteil, da er infolgedessen die Gefahr für nicht dringend hielt und besorgte, daß in Belgien nicht so viele Presselorbeeren zu holen seien, um unehrlich Neutrale zu blenden. Damals war schon jede Offensive verfehlt. Statt sich aber nordwärts umzugruppieren, füllte er die Presse mit Reklamebulletins siegreichen Vordringens nach Osten. Unausbleibliche Folge solcher Prestige-Strategie war rascher Zusammenbruch. Wir können nicht umhin, über Joffre als Strategen den Stab zu brechen. Man läßt sich nicht dort auf Offensive ein, wo Defensive der Linie Toul–Nancy–Epinal besonders stark ist, man schwächt sich nicht an der Stelle, wo des Feindes Stoß die schwächste Defensivlinie trifft. Vielleicht überschätzte er die glorreichen Burenbesieger als Flankendecker. Der Mann war ein sauberer Organisator, der mit rauher Hand in innere Übelstände eingriff und sich Autorität verschaffte wie ein demokratischer Cäsar. Jeder, der ihm mißfiel, mußte weg. Zuletzt mußte er aber selbst daran glauben, man enthob ihn vom kurulischen Sessel und berief nach dem Krieg ein hochnotpeinliches Tribunal über seine strategischen Sünden. Eigentlich dankte er als Stratege schon im September 1914 ab, wollte nur Großtaktiker sein, der gerade deshalb seine Zange nie an richtiger Stelle ansetzte. Wollte er sich nicht aller Stützpunkte gegen den in offener Feldschlacht unbesiegbaren Feind berauben, blieb er ans unregelmäßige Dreieck Toul–Verdun–Reims gefesselt, das bei entsprechenden deutschen Maßregeln leicht zu unterhöhlen war. Sein Anklammern an Verdun blieb ein strategischer Verzweiflungsakt, denn jede störrige Defensive wird verhängnisvoll, wenn sie im Fall des Mißlingens einen gefährdeten Rückzug voraussetzt. Dem Nationalcharakter gemäß opferte diese Kriegsführung das Sein dem Schein. Beim Bewegungskrieg hatte sich taktische Niederlage durch strategische Zwangslage verschlimmert, nur ein Wunder machte dem Rückwärtskrebsen ein Ende, die Marneschlacht. Fortan begrub Schützengrabentechnik jede Kriegskunst, Umgehung, diese Seele des »Manövers«, gabs nicht mehr, denn der Laufgraben vom Meer zu den Vogesen zeigte keine Lücken. Masseneinsatz unter Trommelfeuer auf bestimmte Punkte, den Verlust zu schwindelnder Höhe steigernd, das war die ganze neue Kriegskunst, deren Einweihung man an der Aisne, Suippes, Scarpe, Somme zelebrierte. Freventlicher zerstörte man noch nie Myriaden Menschenleben, um ein paar Kilometer Raum zu besetzen. Das sind die Leute, die von deutscher »Büffelstrategie« reden! Und doch schon im zweiten Kriegsmonat schien die Entscheidung auf des Messers Schneide zu schweben. Daß dies ausblieb, gereichte uns zu schwerem Schaden, Frankreich nicht zum Gewinn, da als einzige Folge die neue Nordwestfront
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