Bismarck 04
entstand. Sie schnitt sich mit der südwärts gerichteten Mittelfront im stumpfen Winkel. Auf ihn loszuklopfen, um unsere Zickzackfront abzuglätten, verschmähte Joffre, um sich von erzwungener Defensive nur an Stellen ohne strategische Brauchbarkeit loszumachen. Sein theatralisches Programm für Durchbruchsschlachten zeigt ihn als unheilbaren Illusionisten. Die Sommeschlacht stieß dann zufällig nebenbei auf diesen verwundbarsten Punkt in Richtung St. Quentin, auf der ganzen übrigen Front ging sie in rohes Frontalraufen der »Materialschlacht« über. Bei Verdun war ein Glück, daß Joffre geradeso unstrategisch dachte wie Falkenhayn, indem er in blinder Angst um Verdun seine ganze Masse dort aufstapelte. Denn diesmal hätte es einen Sinn gehabt, den Hieb als beste Parade verwendend, wenn Joffre sich auf die entblößte Front Champagne–Reims stürzte. Vielleicht überschätzte er aber die O. H. L. und traute ihr bloßen Frontalangriff nicht zu, wenn sie nicht noch andere Teufeleien im Schilde führe. Wollte und konnte man sich auf so Weitgehendes wie südwestliche Umfassung aus Mihiel nicht einlassen, durfte man nicht planlos die ganze deutsche Offensivkraft verzehren, kein taktisches Abenteuer wagen, nur Handlungen vornehmen, bei denen der Feind das Doppelte verlor, nur so kam man auf seine Kosten. Wollte man endgültig mit Rußland fertig werden, verbot sich jede Offensive im Westen. Daß man die Krise von 1917 überstand, verdankte man der sonderbaren Mißachtung taktischer Gesichtspunkte beim Aisneangriff, an dem Joffre nicht mehr beteiligt war, für strategischen Endzweck, hier in Verbindung mit Seitenstoß über St. Quentin richtig gedacht. Das gefällt uns besser als Taktik ohne strategischen Wert, doch nur wo Strategie und Taktik sich durchdringen, kann etwas Großes geschehen. Hier packte Nivelle, um die deutsche Linie aufzureihen, den Stier bei den Hörnern. Und wie dann, wenn die Deutschen sich widersetzten und die Franzosen, die den Fluß im Rücken hatten, niederrannten? Die furchtbare Niederlage im Mai-Juni 1918 antwortete darauf. Während der Endkrieg ausblutete, erschien plötzlich »der größte Feldherr aller Zeiten«, wie ihm Wilsons würdiger Nachfolger bescheinigte: Ihr fragt, warum den Foch so überschwänglicher Lobspruch begrüßt? Wir wollen es sagen: Glück ist eine Eigenschaft und keine ganz unverdiente, wenn sie mit unerschütterlicher Willensruhe sich paart. Darüber würde an anderem Ort zu reden sein, als in kriegswissenschaftlicher Abhandlung. Jedenfalls blieb Foch immer der alte, der in hoffnungsloser Lage depeschiert: »Lage vorzüglich« und damit Recht behielt, er wußte selber nicht wie. Die zweite Marneschlacht glich aufs Haar der ersten, als ob die Marne ein vorbestimmtes Merkzeichen für Deutschlands beschlossene Niederlage sei. Bei völliger Auspumpung der Westmächte wäre ein Ende des Weltkrieges nicht abzusehen gewesen, wenn nicht durch vierjährige Abnutzung unsere Front heimlich abbröckelte. Nicht durch Massengewalt, auch nicht durch heimische Unterwühlung, wie die Dolchstoßtheorie meint, sondern allgemeine seelische Abspannung. Als der einzige feldherrlich Berufene des Vielbunds, Großfürst Nikolaus, als »unfähig« vom Schauplatz abtrat, strich der lachende Erbe aller entschwundenen Renommeen die Zufallsgaben der Fortuna ein und Foch war der große Mann. Verspätung oder Übereilung, war dies etwas Neues in dieser durch eigene Schwäche vom Unglück verfolgten Kriegsführung? Ihre Symptome hießen St. Quentin–Marneschlacht–Ypern bis zuletzt. Höchstleistung aller Truppen täuschte darüber, auch im Osten, seit nach Ludendorff-Hindenburgs Meisterwerken die Firma Falkenhayn-Mackensen dort das Heft in Händen hatte, die ihren in leere Luft verpuffenden Siegeszug nach Brest ohne jede Billigkeit einkaufte. Die Zange kniff nicht, da nur frühzeitiges Abschwenken über Wolynsk auf Kowel ein Einwickeln der russischen Hauptmacht ermöglicht hätte, statt des frontalen Nachrennens auf Brest. Das gichtbrüchige Österreich, dessen elende Organisation den deutschen Waffen ein Bleigewicht anhing, brauchte nicht so zu lähmen, wenn man strategischen Überblick behielt. Nachdem Linsingen und Marrwitz das undankbare Ungarn vor Karpatheneinbruch gerettet, war an Fortschreiten der Russen bei Krackau noch lange nicht zu denken und voraussichtlicher Riesenerfolg Hindenburgs bei Wilna hätte die Russen ohnehin später zum Rückzug genötigt. Doch es wurde eben überall
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