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Bismarck 04

Bismarck 04

Titel: Bismarck 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Das Retiradefieber ergriff aber den elend verzweifelten Feldherrn selber, er hat durch Waffenstillstandsschreie die Heimat entnervt, er hat den gewiß nicht kühnen Reichstag und die wahrlich unentschlossene Regierung durch seine maßlose Verzagtheit in Erstaunen gesetzt, den furchtsamen Kaiser an Ängstlichkeit übertroffen. Was ihm sein wahres vergangenes Verdienst, das ihn mit unsterblichem Ruhm krönte, rauben möchte, verachten wir als blinde Parteiwut, doch sein Selbstgefühl sollte mit seinem militärischen Gewissen zu Rate gehen, ob nicht ein vollgerüttelt Maß von Schuld auch ihm zur Last falle. Fochs Meinung wechselt zwischen 3 oder 5 Monaten noch möglichen deutschen Widerstands, doch ebenso gut könnte man beliebig sagen 12 Monate, denn so etwas läßt sich nicht voraussagen, der Krieg hat oft Überraschungen. Die erste Linie Metz–Namur–Lüttich, die zweite Rhein konnte noch lange verteidigt werden, man mußte nur den Truppen Mut einflößen und ihnen vorstellen, daß feige Kapitulation den sicheren Untergang bedeute. Wer sich vor Banditen entwaffnet, kann sich nicht beklagen, wenn er die Börse und das Leben verliert, oder ein Leben erkauft, das schlimmer als Tod.
    Da schweift Erinnerung zurück zum Erfinder der »preußischen Nation«, der die sieben Arbeiten des Herkules auf Atlasschultern nahm und eine viel erdrückendere Übermacht moralisch zu Boden zwang. Europa wurde eher mürbe als Er und die Verschwörung wider den alten Fritz hätte sich dreimal besonnen, wenn sie solches Ende für möglich hielt. Und so ging der teuflische Jubel einschnürender Überrumpelung, wie Lord Curzon schon die Promenade à Berlin begrüßte, in verbissene Wut über, als alles so ganz anders verlief. Um so erstaunlicher die eiserne Disziplin, womit der Ententeimperialismus die Völker an der Kette hielt, während deutsches »Durchhalten« in fassungsloser Panik erstarb. Der »pflichttreue« Polizei- und Beamtenstaat, der allen Schiebern und Kriegsgewinnlern durch die Finger sah, wenn sie nur hübsch Kriegsanleihe zeichneten, kapitulierte nicht feiger als die Militärhierarchie. Kapitulieren auf der ganzen Linie, vor der Revolution wie vorm Landesfeind. Jetzt, nachdem Gras darüber wuchs, macht man Sprüche. Der Eine greint: Wir wurden von hinten erdolcht! Der Andere: unsere ganze Front lag in Trümmern! So entschuldigt man elendes Betragen auf Kosten der Wahrheit. Eine auf die Bahn gesetzte Gardedivision unter dem Kronprinzen hätte die Revolution in Berlin verhindert, eine neue Front ließ sich bilden. Französische Kritiker faseln von sicherm Ruin beim Rückzug durch die Ardennen, als ob nicht Laurezacs geschlagenes demoralisiertes Heer sein Entrinnen durch die nämlichen Ardennen bewerkstelligt und sich erneut bei Guise zur Schlacht gestellt hätte. Die Deutschen aber marschieren besser als andere, und sie waren weder zerschlagen noch demoralisiert, das bewies ihre stolze ruhige Haltung beim letzten Rückzug, als sie sich unter Hindenburgs väterlichem Zuspruch endlich wieder zusammennahmen und die alte Anhänglichkeit an die Fahne wieder erwachte. Übrigens war der Kronprinz bei den Soldaten beliebt, leider lastete auf ihm der Druck Ludendorffs und die eigene Überzeugung von Nutzlosigkeit des Weiterkriegens.
    Gewiß würde der Alte Fritz im Elysium dem geistigen Urheber der Tannenberg–Masurenoperation und mancher anderen sein inniges Wohlgefallen ausdrücken, doch für den Ludendorff dieses Unglücksherbstes würde ihm jedes Verständnis fehlen. Doch wir verstehen nur zu sehr, daß der Geist von 1806 tief im altpreußischem Militär und Beamten steckt. Nichts versteht er als die wohlgeölte Ordnung der Tradition, jeder zu starke Ruck wirft die Karre um und dann kann sie sich nicht mehr hochrichten. Gänzlich außer Fassung geraten, dankte Lud. vor sich selber ab.
    Das Feldherrntum des Alten Fritz ist heute nur noch mythisch, nur wenige Spezialisten wissen, wie unerhört genial und bahnbrechend es war. Wir gestehen ohne Scheu, was Napoleon selber nicht bestritten hätte, daß Friedrich als Schöpfer der wahren Strategie zwar milieugemäß einen anderen Stil pflegte, als der allmächtige Korse, daß wir aber manche seiner Operationen und Schlachtanlagen für noch bedeutender halten, als die äußerlich großartigeren Napoleons. Als Meister der inneren Linie, die er lange vor Napoleon handhabte und formulierte, vollzog er doch die einzige Operation auf äußeren Linien, die ausnahmsweise pünktlich

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