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Bismarck 04

Bismarck 04

Titel: Bismarck 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Verkennung der aufs höchste gespannten Lage. L. entwand sich nicht dem Philistersystem, sein strategischer Kopf faßte keine klaren Gedanken mehr oder brachte sie nicht zur Reife und ließ sie beim ersten Hindernis fallen. Er sah den Wald nicht mehr vor taktischen Bäumen und scheute vor jedem allgemeinen Angriff zurück, obschon das Heer im Juni noch kampfwillig war. Im August begann Zersetzung bei 2., 7. A. Wie unbegreiflich und bedrückend, daß die aus tausend Wunden blutenden Franzosen und die geschlagenen Briten zu neuer Offensive fähig blieben! Solche Hartnäckigkeit des Willens muß man achten, die Willensschlappheit so vieler Deutschen bedauern. Sie wußten doch, daß uns das Messer an der Kehle saß und nur verzweifelter Widerstand retten konnte. Freilich mußten die Franzosen 1814/15 sich Gleiches sagen und ließen sich doch die Bourbons aufdrängen, doch unter viel hoffnungsloseren Umständen. Michels kosmopolitische Illusionen machen ihn stets fürs Zwingjoch des Auslandes reif, wenn nicht unbeugsamer Heldenwille wie der des alten Fritz die Zügel führt. Tief im deutschen Charakter steckt Neigung zum Umfallen, dem Nibelungenrecken ist der Philister nicht auszutreiben. Sobald die gewohnte Straße der Routine morastig wird, verliert er sich ins Ungewisse. Für unser Staatswesen ist wirkliche Ruhe die erste Bürgerpflicht, jedes Verrosten der loyal geölten Räder, jede »Panne« der Kraftwagen bringt unreparierbare maschinelle Stockung. Und da sollte das Wilhelminische nicht auch sein Abbild dem Militärischen aufgeprägt haben? Der ominöse Bernhardi ließ sich das Geständnis entschlüpfen: »In Friedenszeiten ist die Armee die Schule kalten Strebertums«. Und was ist eine Armee in Kriegszeiten, die einen Hentsch sich vordrängen, einen Kluck und Bülow nach Gutdünken die Marneschlacht verschandeln läßt, wo ein Großer Generalstab mit kleinen Gehirnen die Pläne Ludendorffs in den Winkel wirft! Bloß rohe Reibung der Materie verschuldete nicht das Grundübel. Wohl schien die Entente-Einkreisung erdrückend, doch deutsche Kraft erwies sich so bärenmäßig, daß sie den pressenden Eisenring am Ende doch hätte sprengen können. Doch das beste Heer, das je die Waffen schwang, streckte sie, versetzte sich selbst den Dolchstoß, den man nachher als einen »im Rücken« vorschützte! Von hinten gab es viele giftige Nadelstiche, doch die wahre Blutvergiftung rumorte schon lange in den Eingeweiden des »Volksheeres«, welchem hohen Begriff dies Militärsystem so wenig entsprach, der Dolchstoß kam wo anders her. Während individuelle Überlegenheit der deutschen Rasse sich in den siegreichen Waffen abzustempeln schien, wühlten ihre Erbsünden schon in den Wurzeln der Walser-Esche, bis der Kaiserschild in Stücke brach. Beugte man sich unvermeidlicher oder schon vollzogener Niederlage? Mit nichten. Bis Mitte Juli ganz im Übergewicht, verpuffte zwar der Ende April erringbare Vollerfolg durch Schwanken zwischen zagem Zögern und Überspannung des Bogens. Für den wirren Juliangriff nach zwei entgegengesetzten Richtungen nach Südwest und Südost haben wir die Entschuldigung: »Den lieb ich, der Unmögliches begehrt«, eingedenk ähnlicher Temperamentirrungen in Friedrich und Napoleon. Doch keine Entschuldigung gestatten wir dafür, daß beim ersten Schiefgehen der Sache L. so den Kopf verlor, wie die Preußen beim Rückzug von Jena. Denn behielten Friedrich und Napoleon nicht den Kopf oben in viel schlimmeren Katastrophen? Hatten die Preußen nach Kunersdorf und die Konscribierten nach Leipzig und Brienne nicht unendlich mehr Grund zur Entmutigung, den Feind mitten im Lande bei völlig ungenügenden Widerstandsmitteln? Doch sie standen bald wieder treu um ihre Fahnen; Beresina, Hanau, Montmirail-Etoges heißen die großen Gedenknamen für die Erprobung des englischen Sprichwortes: Never say Die! Hindenburgs Heer war noch sehr zahlreich und meist noch in gutem Stande, das Weichen und Verzagen wurde aber epidemisch und chronisch. Nach Andeutungen Ludendorffs fand er auch in manchen Untergeneralen keine Stütze, es lebten wohl noch viele Klucks und Bülows, denn das System war ihr Urheber und dies lebte ja noch, spürte aber in allen Gliedern, daß es im Sterben lag und zu Grabe ging. »Ein Maultier, das Prinz Eugens Feldzüge mitmachte, hat auch so viel Kriegserfahrung wie solche Offiziere« höhnte Friedrich und verriet damit ein für allemal, was von geistlos »Fachmännischem« im Krieg zu halten sei.

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