Bismarck 04
dieses sozialdemokratischen Großinquisitors entbehrt in kühler Abtönung der nötigen Wucht, Bülows damit verknüpfte lobenswerte Abhandlung »Grundlinien« geht zu weit in scharfer Kritik »kopfloser« deutscher Maßnahmen, als habe man sich blindlings von den Ereignissen forttreiben lassen. Schon am 23. Juli urteilte Jagow sehr vernünftig; am 26. schreibt Tschirschky: »Österreicher bleiben Österreicher, Hochmut mit Leichtsinn gepaart«, am 29. spricht Bethmann selber vernichtend über Wiener Diplomatie. Schätzte man sie aber so richtig ein, warum steifte man ihr anfangs den Nacken? Um nicht den Bundesgenossen zu reizen, dessen Verläßlichkeit man geschichtlich so genau kannte, daß sogar der Dank vom Hause Österreich zu befürchten stand, es werde sich der Entente unterwerfen, wenn man ihm nicht den Willen tat! Hochkomisch versicherte damals Harden, der neue kerndeutsche Thronfolger Karl sei uns vorteilhafter als der slavophile Ermordete. Ach! der Knabe Karl mit erzfranzösischer Verwandtschaft fing bald an fürchterlich zu werden; nachdem die Nibelungentreue für österreichische Interessen mißbraucht wurde, wollte man uns in der Patsche stecken lassen, obschon Österreich allein für formale Kriegsursache sorgte. Wer das Ultimatum an Serbien las, sagte sich, Wien wolle Krieg; als Serbien wider Erwarten das kurzbefristete Ansinnen fast ganz annahm, blieb Wien beim Losschlagen unter allen Umständen. Mit üblicher Schlamperei verzögerte man aber die Militäroperation gegen Serbien, die vielleicht als Druckmittel anfangs noch gewirkt hätte. Berlin leugnete, das Ultimatum gekannt zu haben, aus einer Stelle der Akten erhellt aber, daß man es 12 Stunden vor Überweisung kannte. Da ließ sich nichts mehr ändern, auch empfahl ja Berlin vorher selbst scharfe Tonart. Daraus Mitschuld konstruieren geht aber nicht an, da Berlin den Fall durch die serbische Annahme für »brillant erledigt« hielt. Von da ab bremste man ununterbrochen und wehrte sich umsonst gegen ungewünschte Gewaltschritte. Übrigens verweist Montgelas treffend auf alle späteren Ultimaten und Diktate der Entente gegen das wehrlose Deutschland; man hat uns seither an viel giftigere Kost gewöhnt!
Der türkische Botschafter in Rom wagte zu depeschieren: »Deutschland will absolut den Krieg«, denn Frankreich verbreitete dies Märchen besonders nach Italien; keinerlei Anlaß liegt für die Verleumdung vor, daß man heimlich tat, was man öffentlich nach Kräften ableugnete. Nur böswillige Verblendung verkennt, daß Berlin bis zuletzt alles Denkbare versuchte, den Konflikt zu lokalisieren, nur in die Falle des Greyschen Konferenzvorschlags ging man nicht, der nur zur Demütigung geführt hätte. Für Wiens Leichtsinn, im Vertrauen auf den großen Bruder das Äußerste zu wagen, blieb bestimmend, daß innere Reibung keine äußere Blamage riskieren durfte und der Serajewomord die allgemeine Volksstimmung so günstig für den Krieg einstellte, wie dies nie zum zweiten Male geschehen konnte. Auch vergesse man nicht, daß die Provokation durch den Fürstenmord um so ärger wurmte, als die Entente und Italien mit unerhörter Gelassenheit darüber weggingen, als handle es sich um beliebigen Grenzkonflikt. Mit üblicher Heuchelei mißdeutete man den gerechten Zorn, Österreich wolle ein wehrloses Völkchen vergewaltigen, während Serbien auf Tod und Leben rüstete und ihm schon 1909 mit russischem Einverständnis baldiger Weltkrieg als nationales Ziel vorschwebte. Nach dem Grundsatz »lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende« handelte Österreich von seinem Standpunkt aus richtig, Rücksicht auf den Bundesgenossen, den man in die eigene Schlinge hineinzog, darf man von solchen Leuten nie erwarten.
Entsprach so brennendem Wunsch der Kraftprobe nur blinde Friedenssucht in Berlin? Wilhelm II. dynastisches Gefühl begriff anfangs nicht die Gleichgültigkeit anderer Monarchen bezüglich des Fürstenmords, doch bald genug erkannte er, daß man ihm »Österreichs Dummheit und Ungeschicklichkeit zum Fallstrick mache«, den Esel Deutschland meine, wenn man auf den Sack Österreichs drosch. Warum hebt man seine hitzigen Marginalglossen hervor statt seiner Aufzeichnungen besonders vom 29., 30. Juli, wonach er das Ränkespiel klar durchschaute! Alle Akten liefern den Beweis, daß England und Frankreich nie, wie sie versprachen, in Petersburg mäßigten, sondern vielmehr aufreizten. Unterstand sich doch Poincarè in Kronstadt wider jedes
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