Bismarck 04
England freilich trieb im Verein mit einflußreichen Jingokreisen nur die Regierung zum Krieg. Abschließender Beweis wie auch in Amerika, daß in parlamentarischen Ländern nur die gerade regierende Exekutive den Ausschlag gibt. Zwei Aufsätze bekannter Staatsmänner im »Daily Chronicle« sprachen der überwiegenden Mehrzahl aus dem Herzen »Neutralität«, hielten aber das Verderben nicht auf. Man mobilisierte die Flotte so früh, daß man England für den ersten Kriegsdroher halten muß. In den Kolonien rüstete es so rasch, daß indische, kanadische, australische Massen schon im Herbst in Frankreich landeten. Unsere Annahme, daß Vorbereitung des Expeditionskorps French lange vor Kriegserklärung begann, wird überraschend bekräftigt: Major Bridge, ein weißer Rabe des Generalstabs, stellt fest, daß Ende Juli die Heimarmee mobilisiert, am 2. August die ganze deutsche Post aus Amerika beschlagnahmt und alle Goldscheine darin amtlich gestohlen wurden, sich aber nirgends eine Silbe über bevorstehenden Krieg darin fand. Zwei Tage vor Kriegserklärung bedeutet das unerhörten Friedensbruch, zugleich sträflichen Leichtsinn Berlins, von wo also keinerlei rechtzeitige Warnung an unsere Handelswelt erging. Was am schlagendsten überzeugt, ist ein Schriftstück vom 4. Februar 1914, worin englische und französische Regierung die Zahlungen ans Expeditionskorps nach Devisenkurs regeln. Brauchen wir weiter Zeugnis, daß geheime Konvention mit Belgien auf bestimmter Voraussetzung einer Ententeinvasion fußte? Das Geschrei über deutsche Neutralitätsverletzung – die England während der Boulangerspannung für illusorisch und deutschen Durchmarsch für berechtigt erklärte – ist also grotesker Schwindel. Weder Belgien noch England waren Anfang 1914 noch neutral, beide durch Abkommen mit Frankreich gebunden; mit tödlicher Sicherheit ließ sich voraus sehen, daß Vermeiden deutschen Durchmarsches nur den Feind dazu eingeladen hätte. Dafür hätte man einfach anderen Vorwand gefunden, auch die Serajewokrise durch eine andere ersetzt, falls der Mord nicht ohnehin absichtlich durch Ententeeinflüsterung herbeigeführt war. Nichts wäscht Grey und seinen Helfershelfern die Vaterschaft des Weltkrieges ab, ohne subjektiv mildernde Umstände französischer Revanche und panslavistischer Tollwut, nur aus kalter imperialistischer Tücke gegen das sprach- und stammverwandteste Volk. Neid, Dünkel, Unwissenheit der Jingos und der amerikanischen Jobber tragen weitaus die schwerste Schuld, sie müßte daher die furchtbarste Vergeltung treffen, zumal sie im Heucheln den Rekord schlugen.
Belgiens Mobilisierung ging so flott von statten, daß laut amtlichem Bericht im Juli 200 000 unter Waffen standen; französische Angabe 80 000 ist um so unwahrer, als noch beim letzten Ausfall aus Antwerpen 110 000 angegeben werden. Laut eigener Angabe sammelten sich am 2. August früh 180 000 Franzosen bei Belfort, 45 000 bei Delle, also längst vor Kriegserklärung mobilisiert, während unsere Mobilmachung erst im Anfangskeim stand. Noch mehr: drohende Anstalten an der Elsässer Grenze schon so früh, daß deutsche Touristen am Hoheneck am 14. Juli dichte Truppenmassen unterhalb der Pässe wahrnahmen, deutsche Bahnschaffner bei Avricourt große Zusammenzüge bemerkten, deutsche Jäger schon Ende Juli Kugelgrüße erhielten, als sie eine Grenzkuppe besetzen wollten, während drüben in Lothringen schon alles von Drahtverhauen und Erdaufwürfen starrte. Daß am 15. August 100 000 Afrikaner neben 60 französischen Divisionen aufmarschierten, sagt genug. Kavalleriekorps Sordet streifte im Hennegau, ehe Angriff auf Lüttich begann. Übrigens irrt man auch sehr, daß südfranzösische Korps an der italienischen Grenze verblieben, sie und sogar die 2. Division Alpenjäger fochten früh an der Ostgrenze, Frankreich war also längst über Italiens Bündnisbruch unterrichtet. Im Grunde ist sogar gleichgültig, ob Rußland schon am 25. und Frankreich am 27. offiziell teilweise mobil machte, Rußland seine Vollkriegsbereitschaft vom 29.–31. verheimlichte, Frankreich (das schon am 30. elf Div. an der Grenze hatte) die seine früher als die deutsche veröffentlichte, nachdem es die Berliner Auftragdepesche befristeter Kriegserklärung an Schoen absichtlich verstümmelte – daher die Ententechronologie der Mobilmachungen auf glatter Fälschung beruht. Denn wenn dies alles nicht wahr wäre, was ändert das an der inneren Sachlage! Schon am 29. machte
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