Bismarck 04
Herkommen, den österreichischen Botschafter zu brüskieren! Sobald Rußlands Kriegswille sich abzeichnete, versicherte er unbedingte Gefolgschaft. England hätte mit einem Wort, daß es diese Absicht mißbillige und neutral bleibe, den Kriegseifer gedämpft. Grey tat das Gegenteil, ermutigte durch starke Winke, konnte gar nicht anders, weil er das dreimal von ihm geleugnete Abkommen in der Tasche hatte. Daß Belgien sich loyal benahm, gehört zu den falschen Zugeständnissen von Montgelas; angesichts der in Brüssel gefundenen Dokumente wirken König Alberts biedere Depeschen an den Kaiser nur peinlich, zumal er und sein Kriegsminister gegen den übrigen Ministerrat das bescheidene freundliche Durchzugsultimatum verwarfen. Spaßhafterweise schwatzte die Entente von unerwartetem Überfall, während schon 1911 Delaissys bekannte Broschüre die belgischen Schlachtfelder des »künftigen Krieges« beleuchtete und durch Bernhardis Indiskretion alle Welt den Schlieffenplan kannte. Lauerndes Übelwollen griff Bethmanns Wendung »es ist ein Unrecht« heraus, doch im Zusammenhang wirkt dies keineswegs als Geständnis, obschon es besser unterblieben wäre. Montgelas' Behauptung, Belgiens Niederwerfung sei militärisch nicht notwendig gewesen, zeugt nur von Unverständnis; es war die einzige Möglichkeit zu raschem Siege und Belgiens Besitz als Basis von unschätzbarem Wert. Doch wäre dem nicht so, wie durfte man gestatten, daß es zur Ausfallpforte der Entente wurde, was nachweislich geschehen wäre!
Wenn Lichnowsky mit Recht davor warnte, uns nicht zum leidenden statt leitenden Partner Österreichs zu machen, so stimmt um so trauriger seine schon früh in Berlin erkannte Einwicklung durch Grey! Seine eigenen Berichte verdammen ihn, kein Vernünftiger konnte zweifeln, was Greys »Aufrichtigkeit« im Schilde führte. Wer soll nicht lachen, wenn der Botschafter von geringer Bedeutung des Weltintriganten Nicholsen schwatzt und sich mit dessen Schüler Tyrell, dem ärgsten Kriegshetzer und Deutschenfresser, freundschaftlich beredet! Der gleichfalls vertrauensselige Schoen kann wenigstens keinerlei freundliche Äußerungen der französischen Regierung mitteilen, wo Viviani sich absichtlich unsichtbar machte und Strohmänner als Stellvertreter vorschob, die aber auch nicht so unredlich säuselten wie ihre englischen Kollegen. Greys Katzenspiel mit dem Mäuschen Lichnowsky, durch nichts zu beschönigen, geißelte Shaw gebührend. Kommt etwas darauf an, ob Rußland sein Prestige in Serbien wahren mußte? Ursprünglich erklärte es sich ja mit Strafexpedition nach Belgrad einverstanden, dann steigerte es plötzlich Tag für Tag seine Ansprüche unter englischer Ermutigung.
Es mobilisierte »gegen Österreich«, das nur 8 Korps unter Waffen hielt, am 29. Juli schon 16, dabei 5 im Bezirk Warschau. Auch dies nur offizielle Verschleierung, denn schon am 23. begann Geheimmobilisierung von 2 Millionen Mann, am 24. war Krieg beschlossen unter Zusicherung, daß England die deutsche Küste blockieren werde. Sasanows verschiedene Ehrenwörter, er denke nicht an Vorgehen gegen Deutschland, haben den gleichen Wert wie seine Versicherung, Mobilmachung im Kaukasus sei »ausgeschlossen«, tatsächlich fochten bald alle kaukasisch-turkestanischen Korps, die sibirischen schon im August. Mißt man die riesigen Entfernungen, so weiß man damit genug. Zweimal heuchelte Sasonow, Mobilisierung bedeute noch nicht Krieg, doch beim Militärvertrag 1892 stellte Boisdeffre fest: »Mobilisierung ist Krieg«. Unser Botschafter und Militärattaché in Petersburg ließen sich nie wirklich täuschen, Generalkonsulat Warschau sandte rechtzeitig Berichte, doch den vollen Umfang russischer Vorbereitung verheimlichte man ihm. Nichtsdestoweniger finden wir ein Schwanken, ob man Kampf gegen Deutschland wagen solle, auch mit Rücksicht auf Petersburger Unruhen. Irrig faßt man den Zaren als bloßen Schwächling, Depeschenwechsel mit Wilhelm II. als bloße Falschheit auf, vielmehr wollte er in letzter Stunde Vollmobilisierung widerrufen. Poincarés Empfang war auffallend kühl, Paleologues und Buchanans Umtriebe wären fruchtlos geblieben, wenn nicht die öffentliche Meinung breiter Schichten sie unterstützte. Soweit man von Nation in Rußland reden kann, machte sie den Krieg, panslavistischer Haß gegen alles Deutsche hätte sich eines Tages doch entladen, ob der Zar wollte oder nicht.
In Frankreich arbeiteten Regierung und ein Hauptteil der Nation Hand in Hand, in
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