Bismarck 04
Schärf, wie wir demokratischer Anremplung gegen Fürsten und Adel entgegentreten, denn alle Vorurteile rechts und links entspringen der gleichen verrannten Aufgeblasenheit.
Fremdtümelei ist nur ein Artikel für deutsche Warenhäuser, aber Deutschtum stinkt heute auch wie eine verfaulte Lilie aus dem dicken Bauch des alten Adams, der sich nicht seelisch häuten mag. So besorgte er den ärgsten Finanzskandal der Geschichte gegen das eigene Volk. Alle Minister und Parlamentarier, die den Aufwertungsschwindel, d. h. Straßenraub sanktionierten, betrieben Umwertung aller sittlichen Werte, Deutschnationale in der Welt voran mit gebrochenem Wahlversprechen. Wir wollen nicht mal glauben, daß dieser tiefe Schacht der Gewissenlosigkeit sich mit Nutznießung und Hehlerschaft des Nationaldiebstahls füllt. Doch wie kommts, daß Dawes selbst erklärte, bei anständiger Aufwertung hätte er seine Ansprüche an diesen »schuldenfreien« Staat zugunsten seiner unglücklichen Bürger herabgestimmt! Keine staatliche Rücksicht bewog also zu rücksichtslosem Raubzug, sondern nur Schonung der »Wirtschaft« (lies des Großkapitals, das die Beute einsteckte) unter Mittäterschaft der Regierungen – im Plural, denn alle sich folgenden Parteigruppierungen waren für diesen hohen Zweck einig und Hindenburg, für dessen Präsidentschaft man über 600 000 Mark auswarf, mußte die schamloseste Grausamkeit unterschreiben, die je gegen 43 Millionen deutscher Bürger (so hoch beläuft sich die Summe der Leidtragenden) ersonnen wurde. Und wie kommt es, daß man dabei Geld zum Fenster hinauswirft für Riesengehälter hoher Beamter und Generale und Pensionen selbst von Ministern, die nur einen Tag fungierten, während man die durch eigene Schuld des Reichs maßlos angewachsenen Unterbeamten abbaut oder zu Hungerkünstlern erzieht, oder die gewesenen Unterleutnants, die doch auch ihre Haut zu Markte trugen, mit einem Trinkgeld abspeist, das nicht mal zum Hungern reicht? Soll man sich da wundern, daß das Ausland hier ein Bild ungeheurer Korruption erblickt und logisch folgert: Wie darf man Leuten trauen, die ihre eigenen Landsleute erbarmungslos begaunern! Was wiegt aller Barmatschmutz privater Diebsgesinnung im Vergleich zu staatlicher Entrechtung des Eigentums! Du ahnst es nicht, o ahnungsloser Engel Du, wie das Ausland deinen Kredit bewertet, Du ehrvergessene Germania!
Doch dies biedere Ausland vergißt, daß es sich aus unserer Haut Riemen schneiden wollte und einen Ausverkauf in deutschen Gauen spitzbübisch feierte. Die sittliche Entrüstung aller fremden Eidgenossen, daß Deflation sie um ihre angehäuften Papiermilliarden und erpreßten Sachwerte betrog, erheitert uns in aller Trübsal. Und vergessen wir selber nicht, daß nur die Niedertracht der Franzosen unseren Inflationsgaunern die nötige Handhabe bot, daß noch Dawes' Reparationsschraube unseren Haushalt zu sehr einschränkte, um sofort anständiger Aufwertung Raum zu geben. Wer gewährt uns Reparationen für Frankreichs Schandtaten? Die Gegenrechnung wäre erdrückend. Sollte nun aber die Nemesis uns plötzlich vom Reparationsjoch befreien durch politische oder gewisse Erdkatastrophen, würden die Inflationsdiebe dann freiwillig den Raub hergeben und die Staatsgläubiger befriedigt werden? Wer die Neudeutschen kennt, bei denen Treu und Glauben ein längst beseitigtes Vorurteil, erwartet nichts von Anstand, nur von Zwang.
Berliner Aufmarsch des »Stahlhelm« gab ein erhebendes Zeichen, daß Vaterlandstreue noch nicht erlosch, um so mehr als 60 % dieser alten Frontkämpfer aus Arbeitern bestehen. Andererseits macht bedenklich, daß Major Anker, ein Anhänger des Kronprinzen, jetzt heftig bei Mosse vor dem alten System warnt! Steckt dahinter eigene Erfahrung? Jedenfalls würde das Ausland deutschen Faschismus nicht begünstigen, wenn sich darin Stärkung der Nation verkörpert. Mussolini, dessen carta di lavoro uns endlich überzeugt, daß in ihm ein großer Mann erstand, betritt Wege, die unseren Rechtsinteressenten keineswegs passen und ihnen nach Marxismus riechen, worunter man jede Zähmung der Ausbeutung versteht. Seine Faschisten aber durchdringt zu innig der sacro egoismo , als daß sie irgendeine Machtauferstehung Deutschlands wünschen könnten. Gewiß strotzt heut Italien von Franzosenhaß und Deutschfreundlichkeit, obschon diese seltsamerweise nicht zum Schweizertessin vordrang. Ein prächtiger Geschichtswitz verlegte den Humbug von Locarno nach einem Städtchen, das
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