Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen
mir, warum du Tiere jagst und keine Menschen«, sagte ich. In meiner Stimme schwang noch immer die Niedergeschlagenheit mit. Mit Tränen in den Augen kämpfte ich gegen das Gefühl des Schmerzes an, das mich zu überwältigen drohte.
»Ich möchte kein Monster sein.« Seine Stimme war sehr leise.
»Aber Tiere genügen nicht?«
Er überlegte. »Ich bin mir natürlich nicht sicher, aber vielleicht kann man es mit einer Ernährung auf Tofu- und Sojamilchbasis vergleichen. Wir nennen uns Vegetarier – unser kleiner Insiderwitz. Es stillt nicht vollständig den Hunger, oder vielmehr den Durst. Aber es gibt uns genügend Kraft, um widerstehen zu können. Meistens zumindest.« Seine Stimme bekam einen unheilvollen Klang. »Zu manchen Zeiten ist es schwerer als zu anderen.«
»Ist es jetzt gerade sehr schwer?«, fragte ich.
Er seufzte. »Ja.«
»Aber du bist im Augenblick nicht hungrig«, sagte ich voller Überzeugung – es war eine Feststellung, keine Frage.
»Wie kommst du darauf?«
»Deine Augen. Ich hab dir doch gesagt, ich hab eine Theorie dazu. Mir ist aufgefallen, dass Leute – speziell Männer – schlechter gelaunt sind, wenn sie Hunger haben.«
Er lachte in sich hinein. »Dir entgeht aber auch gar nichts, oder?«
Ich erwiderte nichts; ich hörte nur auf den Klang seines Lachens, um mich später daran zu erinnern.
»Warst du am Wochenende mit Emmett jagen?«, fragte ich, als es wieder still war.
»Ja.« Er hielt kurz inne, als müsste er sich entscheiden, ob er mehr sagen sollte oder nicht. »Ich wollte nicht weg, aber es war notwendig. Es fällt mir etwas leichter, in deiner Nähe zu sein, wenn ich nicht durstig bin.«
»Warum wolltest du nicht weg?«
»Es macht mich … nervös … nicht in deiner Nähe zu sein.« Sein Blick war sanft, aber so eindringlich, dass er meine Knochen zu schmelzen schien. »Es war kein Witz, als ich dir am vergangenen Donnerstag sagte, du sollst aufpassen, dass du nicht in den Ozean fällst oder überfahren wirst. Das ganze Wochenende über konnte ich mich auf nichts konzentrieren, so besorgt war ich um dich. Und nach dem, was heute passiert ist, bin ich tatsächlich überrascht, dass du mehrere Tage am Stück unversehrt überstanden hast.« Er schüttelte den Kopf, dann schien ihm etwas einzufallen. »Na ja, nicht ganz unversehrt.«
»Wie bitte?«
»Deine Hände«, half er mir auf die Sprünge. Ich betrachtete die fast verheilten Abschürfungen auf meinen Handballen. Nichts blieb seinem Blick verborgen.
»Ich bin hingefallen«, sagte ich seufzend.
»Das dachte ich mir.« Seine Mundwinkel zogen sich ein klein wenig nach oben. »In deinem Fall würde ich das als glücklichen Umstand bezeichnen – es hätte weit schlimmer kommen können, und genau dieser Gedanke hat mir die ganze Zeit keine Ruhe gelassen. Es waren sehr lange drei Tage. Ich bin Emmett fürchterlich auf die Nerven gegangen.« Er lächelte zerknirscht.
»Drei Tage? Seid ihr nicht erst heute zurückgekommen?«
»Wir sind am Sonntag zurückgekommen.«
»Warum war dann keiner von euch in der Schule?« Ich war irritiert, fast schon wütend – wenn ich daran dachte, wie bitter enttäuscht ich gewesen war, ihn nicht zu sehen!
»Na ja, du wolltest doch wissen, ob die Sonne mich verletzt – das tut sie nicht, aber ich kann trotzdem bei Sonnenschein nicht rausgehen, zumindest nicht, wenn mich jemand sehen kann.«
»Warum nicht?«
»Ich zeig’s dir bei Gelegenheit«, versprach er.
Ich dachte einen Augenblick lang darüber nach.
»Du hättest mich anrufen können«, sagte ich bestimmt.
Er war verwundert. »Wieso – ich wusste doch, dass du in Sicherheit bist.«
»Aber ich wusste nicht, wo du bist. Ich …« Ich zögerte und senkte den Blick.
»Was?« Seine samtene Stimme war entwaffnend.
»Es war nicht gut. Dich nicht zu sehen. Mich macht das auch nervös.« Das Geständnis ließ mich erröten.
Er war still. Vorsichtig blickte ich zu ihm auf und sah, dass sein Gesicht schmerzerfüllt war.
»Ah«, stöhnte er leise, »das darf nicht sein.«
Ich verstand nicht, warum er so reagierte. »Was hab ich denn gesagt?«
»Begreifst du nicht, Bella? Es ist eine Sache, wenn ich mich ins Unglück stürze, aber etwas völlig anderes, wenn du so tief drinsteckst.« Gequält blickte er auf die Kegel der Scheinwerfer; seine Worte kamen so schnell, dass ich ihn kaum verstehen konnte. »Ich will nicht hören, dass du dich so fühlst.« Seine Stimme klang leise, aber eindringlich. Und was er sagte, ging
Weitere Kostenlose Bücher