Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
drehte er sich um und rannte über den Parkplatz, über die Straße und in den angrenzenden Wald. Schnell und geschmeidig wie ein Reh sprang er zwischen den Bäumen hindurch.
»Jacob!«, rief ich ihm mit heiserer Stimme nach, aber da war er schon weg.
Es war kein günstiger Moment, um allein gelassen zu werden. Kaum war Jacob außer Sicht, bekam ich auch schon keine Luft mehr. Ich hievte mich in den Wagen und verriegelte ihn sofort von innen. Trotzdem ging es mir nicht besser.
Victoria machte also schon Jagd auf mich. Nur reinem Glück war es zu verdanken, dass sie mich noch nicht gefunden hatte – Glück und fünf jungen Werwölfen. Ich atmete scharf aus. Jacob mochte sagen, was er wollte, die Vorstellung, dass er in Victorias Nähe kam, war entsetzlich. Es war mir egal, worin er sich verwandelte, wenn er wütend wurde. Ich sah sie im Geiste vor mir, mit zornigem Gesicht, flammendem Haar, tödlich, unbesiegbar …
Aber wenn es stimmte, was Jacob sagte, gab es Laurent nicht mehr. Konnte das sein? Edward – ich umschlang automatisch meine Brust – hatte mir erklärt, wie schwierig es war, einen Vampir zu töten. Nur einem anderen Vampir konnte das gelingen. Aber Jake hatte gesagt, Werwölfe seien dafür gemacht …
Er hatte gesagt, sie würden auf Charlie aufpassen – ich sollte darauf vertrauen, dass die Werwölfe meinen Vater beschützten. Aber wie konnte ich mich darauf verlassen? Keiner von uns war in Sicherheit! Am allerwenigsten Jacob, wenn er versuchte, sich zwischen Victoria und Charlie zu stellen … zwischen Victoria und mich …
Ich hatte das Gefühl, als könnte ich mich schon wieder übergeben.
Als es laut an die Scheibe klopfte, schrie ich erschrocken auf – aber es war nur Jacob, der schon zurück war. Erleichtert, mit zitternden Fingern öffnete ich die Tür.
»Du hast wirklich Angst, was?«, sagte er, als er einstieg.
Ich nickte.
»Brauchst du aber nicht. Wir passen auf dich auf – und auf Charlie auch. Versprochen.«
»Die Vorstellung, du könntest Victoria finden, ist noch schrecklicher als die Vorstellung, dass sie mich finden könnte«, flüsterte ich.
Er lachte. »Ein bisschen mehr Vertrauen musst du schon in uns haben. Das ist ja eine Beleidigung.«
Ich schüttelte nur den Kopf. Ich hatte schon zu viele Vampire in Aktion gesehen.
»Wo warst du denn gerade?«, fragte ich.
Er schob die Lippen vor und sagte nichts.
»Ist es ein Geheimnis?«
Er runzelte die Stirn. »Eigentlich nicht. Es ist aber ziemlich schräg. Ich will dir keine Angst einjagen.«
»Ach, weißt du, ich bin inzwischen einiges Schräge gewohnt.« Ich versuchte zu lächeln, aber es wollte nicht recht gelingen.
Jacob grinste ohne Anstrengung zurück. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Also gut. Weißt du, wenn wir Werwölfe sind, dann können wir … einander hören.«
Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.
»Keine Geräusche«, fuhr er fort. »Wir hören … Gedanken, die Gedanken der anderen Werwölfe, egal, wie weit wir voneinander entfernt sind. Bei der Jagd ist das sehr praktisch, aber ansonsten ist es total lästig. Es ist peinlich – man hat überhaupt keine Geheimnisse. Abgefahren, oder?«
»Hast du das gestern Nacht gemeint, als du gesagt hast, du würdest ihnen erzählen, dass du dich mit mir getroffen hast, auch wenn du das gar nicht willst?«
»Du kapierst aber schnell.«
»Danke.«
»Und es macht dir nichts aus?«
»Es ist nicht … na ja, du bist nicht der Erste, den ich kenne, der das kann. So schräg kommt es mir also gar nicht vor.«
»Echt? Warte mal – redest du von deinen Blutsaugern?«
»Ich kann es nicht leiden, wenn du sie so nennst.«
Er lachte. »Na gut. Dann also die Cullens?«
»Nur … nur Edward.« Ich legte mir heimlich einen Arm um die Brust.
Jacob sah überrascht aus – unangenehm überrascht. »Ich dachte, das wären bloß Legenden. Ich hab Geschichten über Vampire gehört, die … besondere Fähigkeiten hatten, aber ich dachte, das wären nur Märchen.«
»Gibt es überhaupt noch irgendwas, das nur ein Märchen ist?«, fragte ich bitter.
Seine Miene verfinsterte sich. »Wahrscheinlich nicht. Okay, wir treffen uns jetzt mit Sam und den anderen an der Stelle, wo wir immer Motorrad fahren.«
Ich ließ den Transporter an und fuhr wieder auf die Straße.
»Hast du dich denn gerade in einen Wolf verwandelt, um mit Sam zu reden?«, fragte ich neugierig.
Jacob nickte, es schien ihm peinlich zu sein. »Ich hab es ganz kurz gemacht – ich hab versucht, nicht an
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