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Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde

Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde

Titel: Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephenie Meyer
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einmal zum Fenster hinausschauen konnte.
    »Ich gehe zum Strand«, sagte ich unvermittelt zu Billy und verschwand schnell zur Tür hinaus.
    Es half nicht so viel, draußen zu sein, wie ich gehofft hatte. Die Wolken drückten mit einem unsichtbaren Gewicht herab, und so blieb das klaustrophobische Gefühl. Auf dem Weg zum Strand kam mir der Wald seltsam verlassen vor. Ich sah keine Tiere, weder Vögel noch Eichhörnchen. Ich hörte auch keine Vögel. Die Stille war unheimlich, nicht einmal der Wind rauschte in den Bäumen.
    Ich wusste, dass das alles nur am Wetter lag, aber es machte mich trotzdem nervös. Selbst mit meinen schwachen menschlichen Sinnen spürte ich, dass sich ein größerer Sturm ankündigte. Ein Blick zum Himmel bestätigte dieses Gefühl; die Wolken kreisten träge, obwohl unten kein Wind ankam. Die niedrigsten Wolken waren rauchgrau, aber durch die Lücken hindurch sah ich eine weitere Schicht in schauriges Lila getaucht. Der Himmel hatte heute wilde Pläne. Die Tiere gingen bereits in Deckung.
    Sobald ich am Strand ankam, bereute ich es, dort hingegangen zu sein – hier war ich schon allzu oft gewesen. Fast jeden Tag war ich hier allein spazieren gegangen. So viel anders als meine Albträume war das auch nicht. Aber wo sollte ich sonst hin? Ich schlenderte zu dem Treibholzbaum und setzte mich ans Ende, so dass ich mich an die verzweigten Wurzeln anlehnen konnte. Nachdenklich starrte ich zum wütenden Himmel hinauf und wartete darauf, dass die ersten Tropfen die Stille durchbrachen.
    Ich versuchte, nicht an die Gefahr zu denken, in der Jacob und seine Freunde schwebten. Denn Jacob durfte einfach nichts zustoßen. Die Vorstellung war unerträglich. Ich hatte schon zu viel verloren – würde das Schicksal mir auch noch das letzte bisschen Frieden nehmen? Das wäre mehr, als ich ertragen könnte. Aber vielleicht hatte ich gegen irgendein ungeschriebenes Gesetz verstoßen, eine Grenze überschritten und war deshalb verdammt. Vielleicht war es ein Fehler, sich so viel mit Mythen und Legenden zu beschäftigen und der menschlichen Welt den Rücken zuzukehren. Vielleicht …
    Nein. Jacob würde nichts zustoßen. Daran musste ich glauben, sonst würde ich das nicht überstehen.
    »Agrr!«, stöhnte ich und sprang von dem Baumstamm. Ich konnte nicht still sitzen, das war noch schlimmer, als herumzulaufen.
    Ich hatte mich so darauf eingestellt, heute Edwards Stimme zu hören. Es war das Einzige, was den Tag erträglich gemacht hätte. Die Wunde hatte in letzter Zeit zu eitern begonnen, als wollte sie sich rächen für die Zeit, in der Jacobs Nähe sie beruhigt hatte. Sie brannte und pochte unaufhörlich.
    Während ich hin und her ging, wurde die Brandung stärker, die Wellen brachen sich an den Felsen, aber es gab immer noch keinen Wind. Ich fühlte mich vom Druck des Sturms wie paralysiert. Alles wirbelte um mich herum, aber dort, wo ich stand, war es ganz ruhig. Eine leichte elektrische Spannung lag in der Luft – ich merkte, dass meine Haare statisch aufgeladen waren.
    Weiter draußen tobten die Wellen wütender als am Ufer. Ich sah, wie sie gegen die Klippen donnerten. Große weiße Gischtwolken spritzten in den Himmel. Die Luft bewegte sich immer noch nicht, obwohl die Wolken jetzt schon schneller kreisten. Es sah unheimlich aus – als ob sie sich aus eigenem Antrieb bewegten. Ich schauderte, obwohl ich wusste, dass es nur am Luftdruck lag.
    Die Klippen lagen wie eine schwarze, gezackte Klinge vor dem bleiernen Himmel. Als ich dort hinaufstarrte, dachte ich an den Tag, als Jacob mir von Sam und seiner Gang erzählt hatte. Ich dachte an die Jungs – die Werwölfe –, wie sie sich in die Tiefe stürzten. Ich hatte das Bild der fallenden, wirbelnden jungen Männer noch genau vor Augen. Ich stellte mir die grenzenlose Freiheit während des Falls vor … Ich stellte mir vor, wie Edwards Stimme geklungen hätte – wütend, samten, traumhaft … Der Schmerz in meiner Brust loderte auf.
    Es musste doch möglich sein, ihn zu löschen. Er wurde mit jeder Sekunde unerträglicher. Ich starrte zu den Klippen und den donnernden Wellen.
    Nun ja, warum nicht? Warum sollte ich ihn nicht jetzt gleich löschen?
    Jacob hatte mir schließlich versprochen, dass wir von den Klippen springen würden. Und nur weil Jacob nicht da war, sollte ich auf die Ablenkung verzichten, die ich so dringend brauchte – umso dringender, gerade weil Jacob sein Leben aufs Spiel setzte? Er setzte es im Wesentlichen für mich aufs Spiel.

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