Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
Wenn ich nicht wäre, würde Victoria nicht hier herumlaufen und morden … sondern irgendwo anders, weit weg. Wenn Jacob irgendwas zustieße, wäre es meine Schuld.
Diese Erkenntnis stach so tief, dass ich zurück zur Straße lief, zu meinem Transporter an Billys Haus.
Wie man zu der Straße an den Klippen kam, wusste ich, doch den kleinen Weg zu dem Felsvorsprung musste ich suchen. Während ich ihn entlangfuhr, hielt ich nach Abzweigungen Ausschau, denn ich wusste, dass Jacob mit mir auf den niedrigeren Felsvorsprung wollte, nicht nach ganz oben. Doch der Weg wand sich in einer einzigen schmalen Spur hoch bis zum Felsrand, ohne dass ich irgendwo hätte abbiegen können. Ich hatte keine Zeit, einen anderen Weg zu suchen – der Sturm kam jetzt rasch auf. Endlich spürte ich den Wind, die Wolken drückten noch stärker herab. In dem Moment, als ich dort ankam, wo der unbefestigte Weg am Felsvorsprung endete, fielen die ersten Tropfen und klatschten mir aufs Gesicht.
Ich brauchte mir gar nicht groß einzureden, ich hätte keine Zeit mehr, den anderen Pfad zu suchen – ich wollte unbedingt von ganz oben springen. Das war das Bild, das ich im Kopf hatte. Ich wollte den langen Fall, das Gefühl zu fliegen.
Ich wusste, dass dies das Dümmste, Waghalsigste war, was ich je gemacht hatte. Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Schon ließ der Schmerz nach, als wüsste mein Körper, dass Edwards Stimme nur wenige Sekunden entfernt war …
Das Wasser klang sehr weit weg. Ich verzog das Gesicht, als ich daran dachte, wie kalt es sein würde. Aber das konnte mich nicht abschrecken.
Der Wind wehte jetzt stärker und peitschte den Regen, so dass er um mich herumwirbelte.
Ich ging an den Felsrand und schaute in das Nichts vor mir. Meine Zehen tasteten sich vor, bis sie den Felsrand spürten. Ich holte tief Luft und hielt den Atem an. Ich wartete.
»Bella.«
Ich lächelte und atmete aus.
Ja? Ich antwortete nicht laut, aus Angst, die schöne Illusion zu zerstören. Er hörte sich so echt an, so nah. Nur wenn er mich tadelte wie jetzt, konnte ich mich richtig an seine Stimme erinnern – an den samtenen Klang und den melodischen Tonfall, die zusammen die schönste Stimme der Welt ausmachten.
»Tu es nicht«, bat er.
Du wolltest doch, dass ich ein Mensch bleibe , erinnerte ich ihn. Jetzt sieh mich an.
»Bitte. Mir zuliebe.«
Aber sonst bleibst du ja nicht bei mir.
»Bitte.« Es war nur ein Flüstern in dem peitschenden Regen, der mir die Haare zerzauste und die Kleider durchweichte – ich war so nass, als hätte ich bereits einen Sprung hinter mir.
Ich stellte mich auf die Ballen.
»Nein, Bella!« Jetzt war er wütend, und seine Wut war so wunderbar.
Ich lächelte und streckte die Arme vor, als wollte ich einen Kopfsprung machen. Ich hielt das Gesicht in den Regen. Aber jahrelanges Schwimmen in öffentlichen Schwimmbädern hatte mich geprägt – beim ersten Mal immer mit den Füßen voraus. Ich beugte mich vor, ging in die Knie, um mehr Schwung zu bekommen …
Und dann stieß ich mich von der Klippe.
Als ich wie ein Meteor durch die Luft sauste, schrie ich, aber es war kein Angstschrei, sondern ein Freudenschrei. Der Wind widersetzte sich, versuchte vergebens, die unbesiegbare Schwerkraft zu bekämpfen, schubste mich und wirbelte mich herum, so dass ich mich in einer Spirale nach unten bewegte wie eine Rakete, die auf die Erde kracht.
Ja! Das Wort hallte mir durch den Kopf, als ich die Wasseroberfläche durchschnitt. Es war eisig, kälter, als ich befürchtet hatte, aber die Kälte verstärkte das Hochgefühl noch.
Ich war stolz auf mich, als ich noch tiefer in das eiskalte schwarze Wasser eintauchte. Ich hatte überhaupt keine Panik empfunden – es war das reine Adrenalin. Der Sprung war wirklich überhaupt nicht schlimm. Was war da schon groß dabei?
In diesem Moment wurde ich von der Strömung erfasst.
Ich war so mit den hohen, steilen Klippen beschäftigt gewesen, dass ich an das dunkle Wasser, das auf mich wartete, gar keine Gedanken verschwendet hatte. Ich wäre nie darauf gekommen, dass die eigentliche Gefahr in der Tiefe lauerte, unter der wogenden Oberfläche.
Es fühlte sich an, als würden sich die Wellen um mich streiten. Sie warfen mich hin und her, als wollten sie mich in Stücke reißen und unter sich aufteilen. Theoretisch wusste ich, wie man einem Brandungsrückstrom am besten entkam: immer parallel zum Strand schwimmen und nicht versuchen, ans Ufer zu gelangen. Doch dieses Wissen half
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